In der Schweiz gibt es zahlreiche Musikerinnen und Musiker, die regelmässig auftreten und sich vollständig ihrer Leidenschaft widmen, ohne von ihr leben zu können. Auf der Suche nach solchen Menschen trifft Spectrum auf The Souls.
Ich steige aus dem Bus. Ostermundigen, Waldeck. Ein abgelegenes Industriegebiet – hier sollte es sein. Vor mir eine Art Lagerhalle. Ich warte. Wie aus dem Nichts kommt Raly plötzlich die Treppe hoch, die unauffällig aus dem Keller führt – bis zu diesem Moment war ich mir ihrer Existenz nicht bewusst. Er lächelt, begrüsst mich freundlich und zündet sich eine Kippe an. Lederjacke und enge Jeans. Langes Haar, fröhlich, etwas müde. Wir unterhalten uns kurz, die Band gesellt sich dazu. Zusammen stehen wir an der Sonne, freuen uns über den sich bemerkbarmachenden Frühling und prosten uns zu.
Leidenschaftliche Liveauftritte
The Souls nennen sie sich. Im August 2016 brachten sie ihr Debütalbum Closed Eyes heraus, die anschliessende Tour dauert bis heute an. „Wir habe auf vielen Festivals gespielt, dann Clubshows, im Sommer wieder Festivals.“ Bis hierhin war es ein hart erarbeiteter Weg: Bandcontests, Supportauftritte, eine EP-Trilogie, eine kleine Tournee in England. „Glücklicherweise lieben wir Liveauftritte.“ Ich selbst hatte sie im Old Capitol in Langenthal das erste Mal gehört. Rockmusik, die sich durch gezielte Mehrstimmigkeit und herausragende Gitarrenriffs auszeichnet, welche den kraftvollen und klaren Leadgesang mal unterlegen, mal ablösen. Trotz eher überschaubarer Besucheranzahl war es ein leidenschaftlicher Auftritt, zugleich abgeklärt, spontan, sicher und zufrieden, in ständiger Kommunikation mit dem Publikum. Wie Profis – so könnte man meinen –, doch leben können sie von der Musik alleine nicht.
Der Weg zur Freiheit oder Alles auf eine Karte
Wobei: Als Leadsänger spielt Jay nicht nur auf der Bühne eine herausragende Rolle – er ist zudem das erste und bis jetzt einzige festangestellte Bandmitglied. „Da geht schon mal ein Teil der Konzerteinnahmen verloren“, meint er und um ihn stimmen alle in sein herzliches Lachen ein. Niemand missgönnt ihm seine Spezialrolle. Seit drei oder vier Jahren vermag die Band die Kosten für Material, Ton- und Lichttechniker, Reisen und alles, was dazugehört, selbst zu decken. Eine GmbH wurde gegründet und seit Kurzem können sie auch ein Mitglied vollfinanzieren. Nüchtern und klar sind die Worte von Luk, dem Gitarristen mit dem feinen Schnauzer: „Jedes halbe Jahr einen dazu und dann sind wir frei!“ Das ist das Ziel, daran wird festgehalten, das wollen diese Jungs; daneben hat Neid keinen Platz. Bis dahin jobben die Musiker und das schon seit zehn Jahren. „Brotjobs“ nennen sie es. Die Arbeit darf neben der Musik nicht zu viel Platz einnehmen. „Wir pokern“, geben sie zu. Der intensive Wunsch, durch die eigene Rockmusik unabhängig zu werden, ist spür- und sichtbar. Alle sind sie ausgelassen gekleidet und tragen ihre speziellen Merkmale – eine auffallende Hose, Hemd, Kette oder Frisur. Hier wartet niemand darauf, den Traum zu leben, hier wird es einfach gemacht. „Wichtig ist, dass wir nur für diese Band da sind, wir lancieren daneben keine anderen Projekte. Wir stecken alles hierein und sorgen dafür, dass es daneben irgendwie ausreicht“, meint Dominik, der Drummer, wobei er mich durch die Sonnenbrille anschaut und zufrieden lächelt.
In die Tiefe der Klänge
Wir steigen hinunter in den sauber aufgeräumten Proberaum. Im ersten Vorraum stehen Cases für die Instrumente, im zweiten Vorraum befindet sich das Mischpult. Drinnen ein grosser Perserteppich, der sich über den gesamten Boden zieht. Die Wände sind im unteren Drittel bemalt und mit Schallabsorbern versehen. Auch ohne natürliches Licht ist es hell. Die Souls sind im Kreis formiert, jeder kann jeden sehen, alle sitzen sie auf ihren Stühlen und Barhockern. Es stehen Unplugged-Auftritte an. Das Drum-Kit ist minimalistisch zusammengestellt, die Verstärker sind moderat aufgedreht. Hier geht es um klare Akustik, nicht um Lautstärke. Ich lausche den Liedern und beobachte: Raly, der sich mit elegant fliessenden Fingern in den Keys verliert, Jay, in sich gekehrt, seine Stimme zum Eigentlichen machend und Dominik, selbst die Runde betrachtend, während er scheinbar mühelos die Sticks flüssig auf und ab schwingt. Sieben Gigs stehen in den nächsten drei Wochen an, von Nervosität keine Spur. Ich verabschiede mich aus ihrer Welt, setze mich in den Zug und denke: Sie haben alles auf die Band gesetzt, sie sind bereit.