Gesendet, gesehen, gewonnen – was mit einer WhatsApp-Konversation begonnen hat, endete in der Aula Magna als ein Siegertext des Literarturpreises der Universität Freiburg. Lisa Bieris Text, über eine Studentin am Fliessband, begeisterte die Jury.
Von Nina Graf
Im Rahmen der Diplomfeier der philosophischen Fakultät, wurden die Gewinner des Literaturpreises der Universität Freiburg gekürt. Der von Prof. Dr. Ralph Müller verliehene Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Dieses Jahr wurden insgesamt 46 Texte eingereicht und gleich vier davon ausgezeichnet. Die Einsendungen variierten stilistisch sehr. Von Kurzgeschichten, über Gedichte, bis hin zu Romanen war ein breites Spektrum vertreten. Preisträger/-innen sind Sophie Jaussi mit einem französischen Beitrag, Julie Metta, die auf italienisch geschrieben hat und Alain Wider, der eine englische Kurzgeschichte verfasste.
Literatur als Verarbeitung
Die Gewinnerin des deutschsprachigen Preises ist Lisa Bieri mit ihrem Beitrag „In der Fabrik“. Die Germanistik und Anglistik Studentin hat ihren siebenwöchigen Semesterferien Job, in einer Décolltage Fabrik, in eine literarische Reportage verwandelt. Sprachgewandt, pointiert und mit einer grossen Beobachtungsgabe schildert sie das Leben, die Arbeit und die Leute in der Fabrik.
Die 21 Jährige bezeichnet den Text als persönliche Verarbeitung des Erlebten in einer völlig neuen Umgebung: „Nimm eine Studentin, setz sie in eine Fabrik und dann schau zu was passiert“, so Lisa Bieri. Sie beschreibt das neue, befremdende Umfeld, Mitarbeiter, welche ganz anders sind, als die Freunde zuhause und die einzigartige Monotonie der Fliessbandarbeit. An ihrem Arbeitsort sei sie an ihre Grenzen gestossen, sagt Lisa. Anfangs war alles fremd und die Arbeit in der Fabrik stellte eine Herausforderung dar. Das Schreiben half ihr, die Beobachtungen und Gedanken, die sich im Laufe des Tages ansammelten, loszuwerden.
Vom Smartphone auf Papier
Der Bericht war ursprünglich gar nicht für die grosse Öffentlichkeit gedacht. „Es begann, als ich meinem Mitbewohner schrieb, wie der erste Tag im neuen Job verlief.“ Diesem gefiel was er las und so kam es, dass sie weiterschrieb. Tag für Tag schrieb sie ihre Gedanken und Beobachtungen über das Geschehen in der Fabrik nieder und versendete diese an Familie und Freunde. So endstand Schraube um Schraube, Kiste nach Kiste, Tag für Tag ihr Text. Grosse Änderungen hat sie danach nicht mehr an der Fassung vorgenommen. Es blieb bei einer Mischung aus Reportage und Tagebucheintrag.
Lisa hat schon immer geschrieben, bisher aber nur für sich selber. „In der Fabrik“ ist ihr erster Text, der es an die Öffentlichkeit geschafft hat. Die Teilnahme am Wettbewerb, bezeichnet die 21 Jährige Solothurnerin als Mutprobe, zu der sie sich selbst herausgefordert hat. Die Jury nennt den unprätentiösen Stil Bieris` als Grund für ihren Erfolg beim Wettbewerb. Der Text zeichne sich durch ihre aufrichtige und intensive Selbsterfahrung aus.
Eine bekannte Erfahrung auf den Punkt gebracht
Lisa Bieri beschreibt etwas, dass den meisten Studenten nur allzu vertraut ist: Eine Arbeit, die man des Geldes wegen annimmt und keine grossen Erwartungen daran hat. Doch plötzlich und unerwartet, sieht man sich Herausforderungen gegenüber gestellt, die einem persönliche Grenzen aufzeigen.
Die Beschreibung dieses Zustandes gelingt Lisa auf eine eindrucksvolle Art und Weise. Mit viel Liebe zum Detail und der exakten Beschreibung, werden Menschen, Arbeitsschritte und das unerbittliche Drehen des eigenen Gedankenkarussell beschrieben, ohne einmal boshaft oder herabsetzend zu wirken.
Hier einige Textausschnitte aus Lisa Bieri`s „In der Fabrik- eine literarische Verarbeitung meiner Zeit als Büezerin“:
Tag 1
Da bin ich jetzt also, in der Fabrik, eine temporäre „Büezerin“. Fast zwei Monate lange gehe ich „büglen“, gehöre zu den blue-collar workers dieser Welt. Ich lande in der Sichtkontrolle und werde auf die Suche nach Graten und Spänen geschickt. Meine Aufgabe besteht darin zu kontrollieren, ob alle fünf Löcher eines Metall-Teils frei sind. Kistenweise. Stundenlang. Komme mir vor wie Aschenputtel. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.
Tag 5
Die scheue Annäherung der Arbeiterinnen an die Studentin. Oder die scheue Annäherung der Studentin an die Arbeiterinnen. Ich brauche ein bisschen um zu merken, dass es nicht Arroganz ist, sondern Unsicherheit, die die Arbeiterinnen davon abhält, mit mir ins Gespräch zu kommen. Roger Federer und seine Zwillinge schaffen es, das Eis zu brechen. Ein dankbares Thema. Wir haben einen gemeinsamen Nenner gefunden. Die Stimmung wird sofort gelöster. Auch die Königshäuser Europas sind ein gutes Gesprächsthema. Und die Schweizer Fernsehmoderatoren. Es ist ein bisschen wie mit meiner Grossmutter.
Tag 10
Der verzweifelte Versuch, das Gedankenkarussell zu stoppen. Jede Bewegung, die ich nicht machen kann, scheinen meine Gedanken doppelt und dreifach zu machen. Sie lassen sich nicht bändigen. Je mehr ich es versuche, desto mehr scheinen sie sich dagegen zu wehren. Sie kreisen, springen und hüpfen unermüdlich von einem Ort zum anderen.
Tag 11
Heute bin ich sozusagen befördert worden. Ich bin jetzt Alleinherrscherin über Millionen von ich-kann-mir-den-Namen-einfach-nicht-merken-Teile. Ich weiss noch nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Ob wir wohl Freunde werden oder ob das Teil merkt, dass ich mir nicht einmal seinen Namen merken kann?
Tag 15
Verlagerung des Gewichts nach links. Verlagerung des Gewichts nach rechts. Aufstehen. Zur Toilette gehen. Dieser Gang wird zum abwechslungsreichsten Teil des Tages. Viel zu schnell ist man zurück auf dem Platz. Das Spiel beginnt von vorne.
Tag 22
Wie es in der Fabrik riecht? Es riecht nach Öl, nach abgestandenem Zigarettenrauch, nach kaltem Schweiss, nach Mikrowellenessen, nach verpassten Chancen und ungelebten Möglichkeiten. Ich atme tief durch und trete ein in die Fabrikwelt. Mit den Überkleidern streife ich mir mein „Büezer-Ich“ über, das sich über solche Dinge keine Gedanken zu machen hat.
Tag 31
Der Geräuschteppich der Fabrik legt sich über meine Gedankenwelt. Das leise Plätschern des Radios im Hintergrund. Das regelmässige Rattern und Knattern der Maschinen. Das
konzentrierte Atmen der Arbeiterin neben mir. Das Surren der Neonröhre. Ab und zu ein Lachen. Und unter all dem das fortlaufende tonlose Drehen meiner Gedanken.
Tag 34
Manchmal gelingt es mir, die Frage nach dem Sinn meiner momentanen Tätigkeit etwas in den Hintergrund zu schieben. Dann gibt es nur noch die Teile und mich und es kann sogar vorkommen, dass mich ein Hauch von Zufriedenheit streift und ich das Gefühl habe, mich im Einklang mit der Welt zu befinden. Die Teile fluchen nicht, brüllen nicht, lästern nicht, stöhnen nicht, jammern nicht, motzen nicht; sie sind einfach nur da. Und ich auch.