Bereits im 11. Jahrhundert pilgerten Gläubige auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien. Auch mich fasziniert dieser Weg, der quer durch Europa führt. Da mir aber die Zeit und wohl auch die Frömmigkeit fehlt, den gesamten Weg zurückzulegen, wähle ich nur das kurze Stück durch die Stadt Freiburg – in der Hoffnung, auch so in eine Welt einzutauchen, in der die eigenen Füsse das populärste Verkehrsmittel sind.

Von Simone Frey

Etwas enttäuscht stehe ich vor der Sankt-Bartholomäus-Kapelle auf dem Schönberg, wo der Jakobsweg in die Stadt Freiburg hineinführt. Die Moderne hat gesiegt, die kleine Kapelle ist umgeben von Strassen und Wohnblöcken. Abgesehen von wenigen Stunden am Wochenende ist sie geschlossen. Wohl auch, weil kaum ein Pilger in ihr Schutz suchen würde. Der Verkehrslärm vertreibt jegliche Besinnlichkeit.

Viele Menschen versprechen sich vom Gang auf dem Jakobsweg, zu sich und vielleicht zu Gott finden. Jede Person hat auf dem langen Marsch individuelle Wünsche und Ziele, die erfüllt werden sollen. So auch ich auf meiner Kostprobe. Voller Zuversicht, doch noch den Mythos, den dieser Weg trägt, zu spüren, folge ich der Strasse. Blaue Schilder, auf denen eine gelbe Jakobsmuschel abgebildet ist, weisen den Weg. Traditionell nehmen Pilger, die Santiago de Compostela erreicht haben, eine Jakobsmuschel mit nach Hause. Als ich die Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert erreiche, spüre ich zum ersten Mal etwas von den, den Jakobsweg umwebenden Sagen. Dem alten Gemäuer entlang führt eine Treppe zum Berner Torturm. Doch schon ist es wieder vorbei mit der Ruhe. Neben mir quetschen Autos durchs Tor, und ich gehe schnell die schmale Strasse hinab.

Überall der Heilige Jakob

Da ist es wieder, was an den Mythos erinnert. Zwar habe ich den Rucksack nicht standesgemäss voll gepackt, doch ich verweile vor der „Auberge des Anges“ und stelle mir vor, wie in dieser Herberge einst Pilger verweilten. Heute kommen Touristen vorbei und erfreuen sich auf der Sonnenterasse am schönen Blick über die Sense zur Altstadt hin. Beim Überschreiten der Bernbrücke stehe ich den ersten Pilgern in nichts nach. Denn die Brücke war einst der einzige Übergang für alle Reisenden, die aus dem Osten in die Stadt kamen. Beim Weitergehen fallen mir all die vielen „Auberges“ auf, die sich auf der Altstadtseite aneinanderreihen. Bestimmt hat noch jeder müde Pilger einen Platz in Freiburg gefunden. Auf der Place du Petit Saint Jean blickt von der Säule des Sankt-Anna-Brunnens ein Jakobspilger auf die Vorbeigehenden herab, und gleiches tun viele kleine Figuren des Apostels Jakob an Hauswänden entlang des steilen Weges hinauf in die Stadt. Durch die Hochzeitergasse gelange ich zur Kathedrale Sankt Nikolaus. In der Kathedrale ist der Heilige Jakob ebenfalls allgegenwärtig. Auf dem Altarbild sehe ich ihn mit einer Muschel auf seinem Gewand. Insgesamt wird die Kathedrale von sechs Abbildern des Apostels geschmückt.

Obwohl ich schon auf viele Berge gestiegen bin und viele schöne Wandererinnerungen habe, ist der Jakobsweg selbst auf diesem kurzen Stück abschnittsweise faszinierend und gespickt mit Zeugnissen früherer Pilgererlebnisse. Nach Santiago de Compostela wäre ich noch 1‘600 Kilometer unterwegs. Vielleicht später einmal. Für heute beende ich meine kurze Reise, wie ich sie begonnen habe: inmitten von Strassen, Häusern und hektischem Treiben.