Ronja hat ihr altes Leben hinter sich gelassen und sich mit ihrer Geige von Stadt zu Stadt gespielt. Im Interview erzählt die begabte Musikerin, wie es ist, als Strassenkünstlerin unterwegs zu sein.

Text: Mirjam Schmitz

Ronja, wann hast du zum ersten Mal auf der Strasse gespielt?

Das war mir 14. Das ist eigentlich aus einer Mischung aus Zufall, Neugierde und Notsituation heraus entstanden: Ich war am Wochenende allein in München in der Wohnung von meinem Bruder. Er hatte aber den Kühlschrank nicht gefüllt, und ich hatte kein Geld. Und weil ich schon lange mal ausprobieren wollte, auf der Strasse zu spielen, sagte ich mir: Warum nicht? Die Strassenmusik bedeutet für mich Unabhängigkeit – egal wo ich bin, ich kann jederzeit fünf Minuten Geige spielen und mir von den Einnahmen schon etwas zu essen kaufen.

Wie bist du zum Geigespielen gekommen?

Ich begann bereits mit vier Jahren auf der Geige meines Bruders. Anfangs übte ich gerne viel. Ich merkte, dass ich begabt war und schnell Fortschritte machte. Aber bald war dann von Seiten meiner Eltern auch ganz viel Druck dahinter. Mein Leben bestand eine Zeitlang nur aus Schule und Üben, ich hatte gar kein wirkliches Leben mehr. Durch das viele Üben war ich auch in der Schule eine Aussenseiterin. Mit 15 hatte ich genug.

Dann hast du aufgehört zu spielen?

Ich habe aufgehört zu üben und nur noch auf der Strasse gespielt. Ich habe mich gegen diesen Druck, gegen diese Auferlegung gewehrt. Aber ganz ohne Spielen kann ich einfach nicht, ich brauche die Musik für mich. Mein Lehrer hat mich rausgeschmissen und das war für meine Eltern eine riesige Katastrophe. Aber ich bin froh, dass ich das gemacht habe, weil ich die Musik gar nicht mehr als Musik wahrnehmen konnte, das waren einfach nur noch Fingersätze und Notenabfolgen und Stricharten, und es war nichts dahinter. Und ich hatte ja auch nichts erlebt, womit ich das hätte füllen können.

Inwiefern hat dich die Zeit auf der Strasse geprägt?

Ich konnte die Musik als solche erst richtig wahrnehmen und hören dank der Strassenmusik, dem Improvisieren, dem Zusammenspielen mit anderen Musikern, dem Entdecken anderer Musikrichtungen und meiner Erlebnisse beim Reisen. Die Zeit auf der Strasse hat meinen musikalischen Horizont geöffnet und dafür gesorgt, dass ich Musik jetzt verstehen kann. Und so habe ich dann auch mit 19 wieder zur Klassik und zum Üben zurückgefunden. Ich habe mit der Zeit eben doch gemerkt, dass das einfach mein Weg ist. Und letzten Endes will ich ja doch nichts anderes machen (lacht).

Bist du eine Räubertochter?

Nein, mein Geburtsname ist Sophie. Zwei Strassenmusiker in Augsburg haben mich umbenannt. Sie fanden, ich sähe viel mehr aus wie eine Ronja. Sophie kam mir aber schon immer unpassend vor, so als wäre das gar nicht mein Name. Als ich noch Sophie hiess, bestand mein Leben nur aus Schule und Üben, war langweilig und unspektakulär. Als Ronja habe ich komplett wild gelebt, das war eine ganz andere Lebensweise. Jetzt haben sich beide Leben zusammengefügt.

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Kostet es dich Überwindung, auf der Strasse aufzutreten?

Nein, überhaupt nicht. Ich stand seit meinem fünften Lebensjahr regelmässig auf der Bühne. Da fühlt sich das sehr natürlich an. Als ich mit 14 zum ersten Mal auf der Strasse gespielt habe, da war ich schon nervös, kam mir gleichzeitig aber auch ziemlich krass vor.

Worauf kommt es an, wenn man als Strassenmusikerin Erfolg haben will?

Jedenfalls nicht primär auf die Spielqualität. Auf der Strasse kommt es auf alles an: Kulisse, musikalisches Programm, Tageszeit, wie gross der Mitleidsfaktor der Leute ist. Die optische Komponente spielt auch immer mit rein. Wenn ich gut gekleidet und auch gut drauf bin und eine dementsprechende Ausstrahlung habe, verdiene ich wesentlich besser, als wenn ich wirklich schön spiele, aber kein grosses Auftreten habe.

Woran liegt das?

Mit klassischer Musik wird ein bestimmtes Bild, eine gewisse Geigerinnenhaftigkeit verbunden: jung, schön, elegant, vorzeigbar. Mit klassischer Musik hatte ich deshalb am meisten Erfolg, wenn ich mein langes, rotes Kleid trug, auch wenn ich bei manchen Sets furchtbar gespielt habe. Ich habe auch wahnsinnig gut verdient, als ich schwanger war. Da sind aber fast nur Frauen stehengeblieben, und die Männer haben teilweise sogar die Strassenseite gewechselt. Als ich das rote Kleid anhatte, war mein Publikum dagegen hauptsächlich männlich. Eigentlich erschreckend.

Wie lange hast du von der Strassenmusik gelebt?

Zwischendurch immer mal wieder, den Sommer über oder in den Schulferien. Selbst wenn es nur ein oder zwei Wochen waren, bin ich immer gleich los, habe Rucksack und Geige genommen und bin irgendwohin gefahren. Und dann habe ich diesen Gitarristen kennengelernt. Mit ihm bin ich einmal im Sommer zwei Monate durch die Gegend gereist und habe nur von der Strassenmusik gelebt. In dem halben Jahr danach waren wir auch noch oft unterwegs, hatten aber auch ein paar Auftritte in Bars und Klubs.

Also nur auf der Strasse warst du während eines halben Jahres?

Ja, aber auch in dieser Zeit habe ich in einer WG gelebt und bin immer von dort aus weggegangen. Ich hatte also immer einen festen Wohnsitz, ausser eben während dieser zwei Monate. Aber da war ich dann auch immer irgendwo, bei Freunden auf der Couch, oder ich habe mal eine Woche lang in einer Kunstakademie in einem Klassenzimmer gewohnt. Auf Reisen gab es das aber oft, dass ich nicht wusste, wo ich schlafen soll.

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Hast du auch mal auf der Strasse geschlafen?

Auch, ja, das gab’s öfter, sogar einmal in München. Da war ich gerade aus meiner WG ausgezogen und hatte noch nichts Neues. Eigentlich wollte ich bei einem Freund schlafen, aber der war irgendwie nicht da. Es war schon recht spät und es hat keiner aufgemacht. Da habe ich halt vor seiner Haustür geschlafen. Im Januar.

Was war das für ein Gefühl, so ohne Dach über dem Kopf und ohne zu wissen, wo du hinkannst?

Ich kannte München ja und es war auch nicht mein erstes Mal auf der Strasse, daher fand ich es eher eine interessante Erfahrung. So was passiert halt im Leben. Aber das ist natürlich eine ziemliche Wohlstandssichtweise, denn am nächsten Tag konnte ich mich ja dann irgendwo in ein Café setzen und aufwärmen, und es war nur für eine Nacht. Wenn man das jede Nacht machen muss und sich nicht mehr sagen kann «Hach, was habe ich doch für tolle Erfahrungen gemacht!», dann ist da der Spass schnell vorbei.

In welchen Ländern warst du unterwegs?

Holland, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, Tschechien, Polen, Österreich, weiter bin ich noch nicht gekommen. Das habe ich alles per Anhalter gemacht. Ich will mir die Welt so stückweise erschliessen. Lieber schaue ich mir erst das an, was in der Nähe liegt, und weite das dann langsam aus, wie Wasserkreise. Wenn ich einfach nach Thailand fliegen würde und von dort aus nach Peru, würde mir die Verbindung fehlen.

Reagieren die Leute je nach Land oder Stadt anders auf deine Musik?

In nördlichen Gegenden bin ich kaum auf grosses Interesse gestossen, im Süden dagegen reagieren die Leute grundsätzlich sehr positiv auf die Musik. Aber im Süden haben sie halt sehr wenig Geld und zahlen dementsprechend nicht so viel. In Spanien zum Beispiel wurde es dann echt schwierig.

Hast du dich auf Reisen auch mal einsam gefühlt?

Nein, ich habe ja alleine angefangen mit 15. Klar verbringt man viel Zeit mit sich selbst, wenn man allein auf Reisen ist. Aber man hat ja immer die Möglichkeit, mit Leuten in Kontakt zu treten. Oft steht man sich da selber im Weg. Man sitzt man inmitten von Leuten und denkt sich, hach, ich bin so allein. Dann liegt es an einem selbst, auf andere zuzugehen. Oder aber man zelebriert dieses Einsamkeitsgefühl, was auch ganz interessant ist, weil man sich dabei einfach wahnsinnig gut kennenlernen kann.

Trittst du jetzt auch auf Bühnen auf?

Ja. Jetzt studiere ich an der Musikhochschule, spiele Konzerte und habe ein relativ bürgerliches Leben. Die Strassenmusik ist die Ausnahme. Jeden Sommer nehme ich mir zwei Monate, in denen ich auf der Strasse spiele, das ist immer noch ein Bedürfnis von mir. Ich brauche das Reisen, und die Strassenmusik gehört für mich zum Reisen dazu. Jetzt fahre ich aber mit dem Zug und trampe nicht mehr, denn sonst müsste ich für meine kleine Tochter Tosca ja immer den Kindersitz mitschleppen.

Zur Person
Ronja alias Sophie Putz wurde 1994 in Dachau (D) in der Nähe von München geboren.
Sie war Bundespreisträgerin beim Musikwettbewerb Jugend musiziert und erhielt Förderungen verschiedener Stiftungen. Ronja lebt mit ihrem Freund und der gemeinsamen Tochter Tosca (1) in der Nähe von München, wo sie seit 2014 an der Musikhochschule Geige studiert.

Fotos: Gila Sonderwald, Mirjam Schmitz