Wenn man Menschen nach ihren Träumen und Visionen fragt, beginnen Augen zu funkeln. Ein Appell an die Verwirklichung der eigenen Träume.

 

Reden wir übers Träumen. Und zwar nicht über das nächtliche Träumen während dem Schlaf. Nein, ich spreche von einer anderen Art zu Träumen. Ich spreche von jenen Träumen, die uns nachts eben gerade nicht schlafen lassen. Die Träume, die uns Flügel verleihen. Der Schriftsteller Paulo Coelho schrieb: «Die Möglichkeit, dass Träume wahr werden können, macht das Leben erst interessant». Ich habe die deutsche Redaktion von Spectrum kürzlich nach ihren Träumen gefragt. Von steilen Karrieren, Selbstverwirklichung, dem Traumberuf Chirurgin, über gesunde Beziehungen, bis hin zu akademischen Validierungen. Ein bunter Fächer an Träumen, deren Verwirklichung das Leben erfüllen kann.

Der Traum vom Fliegen

«Der Mensch ist neugierig und strebt nach Selbstverwirklichung. Er hat ein inneres Verlangen nach Entwicklung», erklärt mir Herr Björn Rasch, Professor am Departement für Psychologie der Universität Freiburg. Dazu kommt die besondere Fähigkeit, sich Zukunftsvisionen bildhaft vorstellen zu können. Wir imaginieren uns andere Zustände, konstruieren uns eine andere Welt, stellen uns vor, was im Moment noch nicht ist. Als Beispiel nennt Professor Rasch den vor Jahrtausenden entstandenen Traum vom Fliegen. Der Mensch beobachtete die Vögel und stellte sich vor, wie er selbst fliegt. Daraufhin wurden die ersten Flieger erfunden. Am Ursprung dieser genialen Erfindung stand also wer? Der träumende Mensch.

 

 

«Movere»

Das Träumen ist die Vorstellung von einem Soll-Zustand. Diese Vorstellung ist äusserst motivierend. Sie gibt unseren Handlungen eine Richtung. Die Motivation (lat. movere, bewegen) versetzt uns in Bewegung. Fehlt es an Motivation, bleibt der Mensch stehen. Des Menschen Verhalten ist dadurch motiviert, dass er positive Emotionen aufsucht. Die Erreichung eines Ziels ist laut Professor Rasch ein «Belohnungsmechanismus». Nehmen wir uns beispielsweise vor, einen Berg zu erklimmen und kommen dann oben an, erfüllt uns dies mit Stolz. Es werden Hormone ausgeschüttet und das Belohnungssystem wird angefeuert. Das Empfinden von Stolz hat einen starken Effekt auf das Selbstwertgefühl des Menschen. Nach dem Erreichen eines Ziels traut man sich mehr zu. Man weiss, was man kann. «Aus psychologischer Sicht ist die Selbstwertschätzung absolut entscheidend», so Professor Rasch. Denn hat ein Mensch kein Selbstwertgefühl, ist es beispielsweise auch viel schwerer, gesunde Beziehungen zu anderen Personen aufzubauen.

«alea iacta est»

Das Rubikon-Modell, 1987 von den Psychologen Heckhausen und Gollwitzer begründet, beschreibt den menschlichen Motivationsprozess. Es greift im Namen die Geschichte von Julius Caesar auf, der im Jahre 49 v. Chr. die römischen Truppen über den Fluss Rubikon schickte und so einen Bürgerkrieg entfachte. Damit waren die Würfel gefallen und endgültig eine Entscheidung getroffen worden. Das Modell macht eine wichtige Unterscheidung zwischen der Motivationsphase und der Volitionsphase. In ersterer werden Ziele abgewogen. Dann folgt die Zielsetzung. Je konkreter, desto besser. Professor Rasch liefert ein anschauliches Beispiel: «Ich möchte für die nächsten drei Wochen jeden Dienstagabend um 18 Uhr nach der Arbeit in diesem Wald mit diesen Turnschuhen Joggen gehen.» Eine solche Zielsetzung führe häufiger zu Erfolg, als wenn das Ziel heisst: «Ich möchte mehr Sport treiben». Entscheidend ist nun, dass am Ziel festgehalten wird. Denn in der zweiten Phase, der Volitionsphase, muss gehandelt und auf das Ziel hingearbeitet werden. Der Rubikon ist in dieser Theorie die Metapher für die Überschreitung der Grenze vom Wünschen zum Handeln. Viele Träume scheitern wegen Scheu und Angst an diesem zentralen Schritt.

 

«Die Möglichkeit, dass Träume wahr werden können, macht das Leben erst interessant»

Paulo Coelho, *1947, Schriftsteller

 

Nicht alle werden Fliegen können

Allerdings hat das Träumen zwei Gesichter. «Schafft man es nicht, seine Träume zu verwirklichen, so kann dies stark frustrierend sein und negative Emotionen auslösen», meint Professor Rasch. Er plädiert deshalb darauf, dass man sich mittelschwere Ziele setzt und keine Angst davor hat, sie gegebenenfalls auch anzupassen. Dies sei psychologisch viel gesünder. Oft erhält man auch erst in der Volitionsphase wichtige Erkenntnisse und kann auf diese reagieren. «Man muss auch mal ausprobieren, ansonsten bleibt man in den Traumwelten hängen.», so Professor Rasch.

Das Träumen ist also ein Balanceakt. Abwägung und Pragmatismus sind gefragt. Doch steht fest, dass sich Träume nicht von alleine verwirklichen. Damit Deine Träume wahr werden, braucht es Dich. Es sollte nicht unterschätzt werden, was ein träumender Mensch erreichen kann.

 

Text: Pauline Anne Meyer

Illustration: Canva