Endlich! Linkin Park, meine absolute Lieblingsband, bringt ein neues Album raus. Vier lange Jahre ist es her, seit ihrem letzten Studioalbum, The Hunting Party. Meine Vorfreude ist riesig. Also: Laptop auf, Google an. Ich begebe mich auf die Suche nach bereits im Web umherschwirrenden Tracks des neuen Albums, das den vielversprechenden Namen One more light trägt. Und siehe da: Einige sind schon vorhanden. Die anfängliche Vorfreude verschwindet schlagartig nach dem Anhören der ersten Single, Heavy. Der Track hätte von einem französischen, schwedischen, meinetwegen auch schottischen DJ stammen können. Es scheint, als hätte sich die sechsköpfige Band aus Kalifornien gedacht: «Nehmen wir eine hübsche junge Frau mit einer dünnen Stimme und unterlegen diese mit einem elektronischen House-Beat. Das kommt heute bei den Jungen an.» Das Einzige, was noch ansatzweise an die amerikanische Rock-Alternative-Metal-Band erinnert, ist der Rhythmus, den Schlagzeuger Rob Bourdon vorgibt. Das kann es nicht sein, denke ich mir und höre zwei weitere Songs des neuen Albums an. Und ich bleibe enttäuscht. «Vielleicht sind ja die anderen Lieder total toll», meint eine Redaktionskollegin an einem verregneten Mittwochabend nach der Redaktionssitzung auf dem Weg ins Ancienne Gare. Ich schaue sie kritisch an. Noch heisst es abwarten, das Album erscheint erst in zwei Wochen.
Am besagtem Tag, es ist Freitag der 19. Mai, ist es also soweit. Ich öffne Spotify, auf Anraten der gleichen Redaktionskollegin erwerbe ich mir die CD nicht, zu gross ist die Angst vor einem Fehlkauf, und höre das erste Stück an. Und werde wieder enttäuscht. Egal ob Nobody can save me, Good Goodbye, Sorry for now oder Invisible, Frontmann Chester Bennington singt, es sind weiche Gitarrenklänge und einen elektronisch produzierten Rhythmus zu hören. Invisible vermag mit einer melodiösen Klaviereinlage zum Schluss noch überraschen. Die einzigen Tracks, die noch ansatzweise an das «alte» Linkin Park erinnern, sind Talking to myself und Battle Synphony. Ansatzweise im Sinne von rockigeren Gitarrenklängen und härteren Drums. Doch damit hat es sich dann aber auch schon. Das letzte Stück der Platte, Sharp Edges, enthält akkustische Gitarren-Klänge, tönt nach einem Gute-Laune-Stück und würde damit eher auf ein Album von Passenger passen. Oder von Ed Sheeran. In Good Goodbye singt Chester Bennington «Let me say goodbye to my past life». Dies scheint zugleich auch die Devise für das gesamte Album zu sein. Während des Hörens der ganzen CD frage ich mich unweigerlich: «Wo sind die markanten Gitarrenriffs von Brad Delson, wo der unverkennbare Schreigesang von Chester Bennington gepaart mit den Rapeinlagen von Mike Shinoda, wo die virtuosen Schlagzeug-Einsätze von Rob Bourdon?» Nirgends. In keiner Art und Weise. Alles, was ich an Linkin Park auf den vergangenen Alben schätzte, scheint auf dem Weg zum neuen Longplayer verloren gegangen zu sein.
Ja, eine Band mit einer knapp 20-jährigen Geschichte lebt von Veränderungen und von Abwechslung. Linkin Park hat sich in den vergangenen Jahren auch stets weiterentwickelt. Ich erinnere an das dritte Studioalbum Minutes to Midnight aus dem Jahre 2007, als die Band ruhigere, aber immer noch rockige Töne anschlug. Oder an die nachfolgenden Alben A Thousand Suns (2010) oder Living Things (2013), auf welchen Linkin Park vermehrt zu elektronischen Drumbeats griff. Veränderungen sind notwendig, denn Stillstand ist der Tod. Aber das, was das «neue» Linkin Park mit One more light präsentiert, gleicht eher einem Stilbruch, denn einer Veränderung. Das ganze Album erscheint von A bis Z und ohne Ausnahme viel zu poppig, viel zu soft für eine Alternative-Rock-Metal-Band. Das «neue» Linkin Park hat einen Fan verloren. Und ich werde ganz bestimmt nicht die Einzige sein.