Die erste Szene verrät, dass The French Dispatch ein Wes Anderson Film ist. Die Szene ist in einem einzigen Take gefilmt worden: ein Kellner steigt mit einem vollen Tablett Treppen hinauf, verschwindet tänzerisch hinter Türen und taucht hinter anderen wieder auf. Schliesslich erreicht er das Büro, in dem die Redaktion des Magazins «The French Dispatch» ihren verstorbenen Chefredakteur betrauert. In diesem Büro hängt das Schild «No Crying» («Nicht Weinen») über der Tür und es bildet den Knotenpunkt für die verschiedenen Geschichten, die uns die exzentrischen Figuren im Verlaufe des Films erzählen.

 

Der Tod des Chefredakteurs gibt den anwesenden Journalist*innen die Gelegenheit ihre besten Artikel noch einmal zu erzählen. Ihre Erzählungen heben sich vom typisch bunten Stil des Filmemachers ab, sind sie doch alle in schwarz-weiss gehalten. In drei kurzen Sequenzen erzählen sie uns von einem mörderischen Künstler, einer gewagten Studierendenrevolution und einem giftmischenden Polizeikoch.

 

Die Geschichten spielen alle in der erfundenen französischen Stadt Ennui-sur-Blasé in einer Zeit, die vage an die 70er Jahre erinnert. Trotz der Unglaublichkeit der Geschichten gelingt es Anderson, Realität und Fiktion so zu verweben, dass ich mich bei dem Gedanken ertappe, ob es den psychisch kranken Künstler Moses Rosenthaler tatsächlich gegeben hat. Natürlich nicht, aber vielleicht? Vielleicht gab es einen Studenten wie Zeffirelli? Einer, der in der Badewanne sein revolutionäres Manifest zu Ende schrieb und mit seinen Kommiliton*innen rief: «Les enfants sont grognons!»

 

Mit witzigen Sprüchen und eigentümlichen Gestalten gelingt es Anderson uns zum Schmunzeln zu bringen. Bewegung, Ton und Farbe sind perfekt aufeinander abgestimmt. Der Cast ist umfassend und reicht von Owen Wilson über die Französin Léa Seydoux bis hin zu Timothée Chalamet. Wie in The Grand Budapest Hotel oder The Darjeeling Limited entführt uns eine Starbesetzung in eine farbenfrohe Theaterwelt, zugleich magisch und banal. Trotz allem cineastischen Zauber erinnert uns der Film jeden Moment daran, dass diese Welt explizit künstlich ist. Dass unsere Reaktion zur Kunst mitdazugehört. Es ist kein anspruchsloser Film, den man während dem Kochen im Hintergrund laufen lassen kann. Um der Geschwindigkeit des Dialogs, der Vielfalt der Geschichten und dem subtilen Humor gerecht zu werden, lohnt es sich, den Film in aller Ruhe an einem regnerischen Nachmittag in Ennui-sur-Blasé oder Fribourg-sur-Sarine zu schauen.

Text: Alyna Reading


Titel: The French Dispatch

Regisseur: Wes Anderson

Jahr: 2021

Cast: Tilda Swinton, Frances McDormand, Bill Murray, Jeffrey Wright, Adrien Brody, Benicio Del Toro, Owen Wilson, Léa Seydoux, Timothée Chalamet, Lyna Khoudri, Stephen Park, Mathieu Amalric

Dauer: 107 min

Streaming: Disney+