Green Day spielten bereits 2005 am allerersten Greenfield. Nun kehrten sie am 9. Juni für ein Konzert der Extraklasse nach Interlaken zurück.

Das Wetter ist abgekühlt, die Stimmung aufgeheizt. Ich stehe in der zweiten Reihe an meinem zweiten Green-Day-Konzert und sing-kreische mit, was das Zeug hält. So kleinmädchenhaft hohes Gekreische würde mich von anderen wahrscheinlich nerven, aber mit einer tieferen Stimme bin ich einfach nicht laut genug. Billie Joe muss nur nicht meinen, die linke Publikumshälfte ginge mehr ab als die rechte, in der ich stehe. No way! Ich hieve den mittlerweile zwanzigsten Crowdsurfer über meinen Kopf hinweg über die Absperrung. Dicht gedrängt neben zwei Girlies in ultraschwitzigen Polyester-Plüschhasenkostümen sterbe ich fast vor Hitze. Ich werde mal nach vorne gedrückt, mal eher mit den Bunnies zusammengequetscht, mal voll zur Seite gedrängt. Hie und da kriege ich diverse Ellbogen in die Seite und hinter mir ist eine so zu, dass sie irgendwann komplett auf mir draufliegt. In der Fast-Frontrow zu stehen hat seinen Preis. Doch den zahle ich nur allzu gern. Green Day bieten mehr als eine hammergeile Show, davon zeugen die grossartige Freude auf beiden Seiten und die spürbar gegenseitige Wertschätzung: Green Day sind auch Fans von ihren Fans.

Billie Joe Armstrong und Bassist Mike Dirnt spielen seit über dreissig Jahren zusammen, Schlagzeuger Tré Cool kam etwas später dazu. Ihr Sound hat sich mehrfach geändert und die drei sind klar älter geworden – aber die alten Songs ziehen noch immer. Doch auch das neue «Still Breathing» ist atemberaubend. Andere neue Hits wie «Bang Bang» und «Revolution Radio» rocken ebenso wie die Klassiker «When I come around», «She» und «Longview». Zu letztgenanntem Song wird ein Fan zum Singen auf die Bühne geholt – und legt spontan eine beeindruckende Show hin, bevor ihn Billie Joe lächelnd zum Crowdsurfen zurück in die Menge schickt. Die weniger begabte oder einfach nervöse Gitarristin aus dem Publikum bekommt kurzerhand einen Schellenkranz zum Spielen in die Hand, darf dafür nachher jedoch die Gitarre behalten. «Holiday» und «Boulevard of Broken Dreams» sind eine Klasse für sich, weil bei diesen Songs das gesamte Publikum restlos mitsingt. Auf meine absoluten Lieblingslieder warte ich zwar vergeblich, mit dem zu Tränen rührenden Stimmwechsel zwischen Billie Joe und dem Publikum zu «Are We the Waiting» bin ich aber wieder versöhnt.

Dann wird es politisch. Bernie hat verloren, Billie hat verloren. Billie Joe wälzt sich zeitweise auf dem Boden der Bühne und fordert in einer emotionalen Rede «no racism, no sexism, no homophobia, and no Donald Trump!» Breite Zustimmung vom Publikum. Mit ihrem neuesten Album Revolution Radio kehrten Green Day nach ihrer Albumtrilogie ¡Uno! ¡Dos! ¡Tré! zurück zu vermehrt politischen Themen in Songs und in Öffentlichkeitsarbeit.

Ich springe wie wild auf und ab in der zweiten Reihe an meinem zweiten Green-Day-Konzert. Der Druck von hinten hat mit der Zeit etwas nachgelassen. Mit der Zugabe beginnt das Konzert ein zweites Mal. Eröffnet mit «American Idiot», gefolgt von «Jesus of Suburbia», ist sie wie ein eigenes kleines Konzert. Nur mit der Akustikgitarre verabschiedet sich Billie Joe schliesslich nach zweieinhalb Stunden mit «Ordinary World» und dem obligatorischen «Good Riddance» jedoch endgültig von der Bühne. «It’s something unpredictable, but in the end it’s right, I hope you’re having the time of your life.» For sure I am!

Foto: liveit.ch (Lopez)