Fast wie selbstverständlich ist es die Demokratie, die in Europa dominierende Staatsform ist. Doch was sind die Voraussetzungen für ihr Bestehen?
Demokratie als die Herrschaft des Volks zu definieren, ist ein bisschen, als würde man Feminismus mit der Gleichstellung von Mann und Frau umschreiben: richtig, aber auch zu ungenau, wenn nicht sogar nichtssagend. Wie kann ein System, in dem das Volk regiert, überhaupt erst entstehen? Oder anders gefragt: Was ist nötig, damit ein bestehendes demokratisches System nicht zerbricht?
Medien, Bildung und Justiz
Mit diesen Fragen beschäftigte sich auch das «Café Scientifique» der Universität Freiburg mit dem Titel «Bye-bye Demokratie – Die starken Männer sind zurück», das im November in Murten stattfand. Die Juristin Eva Maria Belser, der Politologe Gilbert Casasus und der Volkswirtschaftler Mark Schelker beantworteten an dem Abend Publikumsfragen jeglicher Art zu dem Thema. Kann Demokratie nur in reichen Ländern entstehen und ist somit ein Luxusprodukt? Ist die Schweiz überhaupt eine richtige Demokratie, wenn die Hälfte ihres Stimmvolkes nicht wählen geht? Kurz: Was macht eine starke Demokratie aus? Die Rechtsprofessorin Eva Maria Belser nimmt sich des Themas von der anderen Richtung an: «Autokratisierungsprozesse laufen immer nach einem ähnlichen Muster ab», sagt sie. «Sehr vereinfacht gesagt, werden als erstes die Medien und Bildungsinstitutionen sowie die Justiz, also die Rechtsstaatlichkeit, angegriffen. » Eine gesunde Demokratie setze also voraus, dass Medienschaffende möglichst frei agieren können und ohne zu grossen Druck, finanzielle Gewinne erwirtschaften zu müssen. Dort sei der Staat in der Pflicht, die Medien als vierte unabhängige Gewalt zu unterstützen. Auch die Wissenschaftsfreiheit und zivilgesellschaftliche Institutionen wie Menschenrechtsverbände seien wichtige Grundpfeiler der Demokratie, denen wir als Gesellschaft Sorge tragen müssen.
Was kommt nach dem Frieden?
Es ist schwer, sich ein politisches System ohne die wirtschaftliche Dimension vorzustellen. «Demokratie und Kapitalismus bedingen sich gegenseitig», hebt deshalb der Finanzwissenschaftler Mark Schelker am «Café Scientifique » hervor. Historisch gesehen gebe es für diese These kaum Gegenbeispiele. Grundlegend sei die Frage, wer in einem System die Spielregeln aufstellen solle. Die Macht der Mehrheit reiche für eine Demokratie nicht, Institutionen seien ebenso wichtige Grundpfeiler. Demokratische Systeme, wie wir sie heute kennen, gibt es noch nicht lange. Ihre Entstehung war und ist nicht in Stein gemeisselt und auch ihr Fortbestehen scheint hier und da zu bröckeln. Im Lauf des letzten Jahrhunderts waren sie auch imstande, Kriege zu führen. Für den Politologen Gilbert Casasus ist der Wunsch einer Gesellschaft nach Frieden, so wie er nach dem Zweiten Weltkrieg oder auch dem Mauerfall 1989 zu finden war, trotzdem einer der Kerngedanken der in Europa entstandenen Demokratien. Er sei ein wichtiger Antrieb für deren Aufbau gewesen. «Dieser Friedensgedanke ist heute weg, aus dem einfachen Grund, dass gerade Frieden herrscht. Dabei darf dieser Gedanke eigentlich nicht vergessen werden.» Überdies sehe er das Wahrnehmen von Bürgerrechten, wie zum Beispiel das Abstimmen und Wählen, als Pflicht jedes und jeder Einzelnen an.
Abwählen, wer einem nicht gefällt
Eine funktionierende Demokratie ist also nur so gut wie ihre Einzelteile: Bürger und Bürgerinnen, Institutionen, Politikerinnen und Politiker. Vor allem aber hängt sie auch von den Wechselwirkungen dieser Elemente ab. Er wisse nicht, ob er noch wählen gehen solle, wenn die Volksvertreter und -vertreterinnen gar nicht mehr das umsetzen würden, was sie versprechen, sagt jemand aus dem Publikum des «Café Scientifique». Casasus’ Antwort erscheint schon fast zu einfach: «Dann sollten Sie die Politikerinnen und Politiker, mit denen Sie unzufrieden sind, besser wieder abwählen.»