Können wir für eine Freundschaft bezahlen, die real ist oder sich zumindest real anfühlt? Kann das Mieten einer Freundschaft Menschen helfen, die an einem Ort neu sind oder Schwierigkeiten haben, sich in soziale Umgebungen einzufügen? Oder ist das nur ein kommerzieller Trick, der uns emotional und finanziell leerer zurücklässt als zuvor?

Spectrum hat darüber zum einen mit RentAfriend gesprochen, einer der ersten Organisationen, die das Konzept der bezahlten Freundschaft nach Nordamerika und Europa gebracht haben. Und zum anderen mit Joachim Negel (J.N.), Professor für Theologie an der Universität Freiburg, der in seinem Buch «Freundschaft, von der Vielfalt und Tiefe einer Lebensform» die Bedeutung von Freundschaft durch die Jahrhunderte in der Literatur aufzeigt.

Was verstehen Sie unter Freundschaft?

J.N.: Das Thema Freundschaft ist ein wahrhaftiges Urphänomen. Es gibt dabei verschiedene Arten. Die amicitia utilis ist die nützliche Freundschaft, z.B. zu Geschäftsfreund*innen oder Kolleg*innen, deren Präsenz man sich nicht aussucht. Dann gibt es die amicitia delectabilis, die erfreuliche Freundschaft zu Menschen, die man sich aussucht. Die dritte Freundschaft ist die amicitia honesti, die ehrwürdige Freundschaft, die es nur sehr selten gibt. Man könnte sie auch als die Seelenfreundschaft bezeichnen. Das sind die grossen, kostbaren Freundschaften, von denen man meistens nicht mehr als eine Handvoll hat. Ein*e Seelenfreund*in ist eine Person, die man in sein Herz schauen lässt, mit der man die intimsten Sachen teilt und der man sich vollkommen anvertraut.

RentAfriend: Wir glauben schlicht und einfach, dass Freundschaft der gegenseitige Respekt zwischen zwei Individuen ist, die platonisch miteinander in Kontakt treten wollen.

Laut Joachim Negel lassen sich Freundschaften in verschiedene Kategorien einteilen.

Kann man für Freundschaften bezahlen?

RentAfriend: Die Menschen müssen wissen, dass Freundschaft nicht gekauft werden kann, platonische Kameradschaft jedoch schon. Viele Mitglieder, die Freund*innen einstellen, merken, dass sie zwar nicht die nächste grosse Freundschaft getroffen haben. Sie treffen jedoch möglicherweise passende Kameradschaften für eine bestimmte Veranstaltung oder Aktivität.

J. N.: Im Sinne einer Seelenfreundschaft ist das nicht möglich, vielleicht aber im Sinne einer erfreulichen Freundschaft, einer amicitia delectabilis. Hier möchte ich aus dem Buch «Der kleiner Prinz» zitieren, wo der Fuchs zum Prinzen sagt: «Die Leute haben keine Zeit mehr irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr.» Deswegen funktioniert das Mieten von Freundschaften, das auf Geschäftsbasis beruht, nur bedingt.

Was könnte eine Kritik am Konzept von RentAfriend sein?

RentAfriend: Die meisten unserer Bedenken drehen sich darum, was passiert, wenn Mitglieder das Gefühl haben, nicht den oder die richtige*n Freund*in für sich ausgewählt zu haben. Daher können die Mitglieder unserer Organisation mehrere Freund*innen einstellen, bis sie die Person gefunden haben, die zu ihnen passt. In den meisten Fällen ist das jemand mit gleichen Interessen oder Hobbys.

J.N.: Mich stört bei dieser Freundschafsmieterei, dass der Begriff Freundschaft da reinkommt. Ich würde das einen Begleitservice nennen. Und das halte ich für völlig legitim. Ausserdem würde ich diese Freundschaften eher als Bekanntschaften betiteln.

Glauben Sie, dass Freundschaft intim sein muss, um ehrlich zu sein? Und kann man in einer gemieteten Freundschaft überhaupt eine emotionale und intime Verbindung aufbauen?

J. N.: Eine Freundschaft muss nicht intim sein, um ehrlich zu sein. Ich kann z.B. mit Arbeitskolleg*innen intime und intensive Gespräche führen. Intime Gespräche kann man mit Freund*innen aus den unterschiedlichsten Freundschaftsebenen führen. Alle Ebenen sind gleichbedeutend. Gute Geschäftsfreundschaften können wunderbar sein. Allerdings gibt es Dinge, die ich nicht mit meinen Geschäftsfreund*innen besprechen würde. Beim Mieten einer Freundschaft sieht das anders aus: Eine tiefe Sympathie, die kann ich nicht einfach so bestellen. Aus einer gemieteten Freundschaft kann sich dennoch eine wirkliche Freundschaft entwickeln, das kann man nicht ausschliessen. Aber das hat man nicht selber in der Hand, das geschieht einfach.

RentAfriend: Je mehr Zeit man mit jemandem verbringt, desto eher kann es zu einer Bindung kommen. Wir haben viele Mitglieder und Freund*innen, die eine echte Freundschaft entwickeln und nicht mehr bezahlen oder kein Geld mehr verlangen. Das finden wir grossartig!

Hat die Pandemie Ihre Idee von Freundschaft verändert?

J.N.: Natürlich zeigen diese schwierigen Zeiten, was wirkliche Freundschaften sind. Ich habe zum Beispiel einen kleinen Club gegründet, wir sind zu fünft. Jeden Sonntagnachmittag treffen wir uns über Zoom. Wir trinken zusammen Kaffee, plaudern und beten auch ein bisschen miteinander. Das Merkwürdige ist, dass wir das wirklich seit drei Monaten, Sonntag für Sonntag machen und ich mich wirklich darauf freue. Jedes Mal muss auch jemand einen Kuchen backen und ihn den anderen zuschicken. Das sind kleine Rituale, die etwas Verbindliches haben und die einen spüren lassen, wie sehr man einander braucht.

Ist mit der Pandemie die Nachfrage an gemieteten Freundschaften gestiegen?

RentAfriend: Zuerst haben wir einen Rückgang in der Nachfrage bemerkt, als Quarantänen verhängt und die meisten Orte geschlossen wurden. Aber dann haben wir festgestellt, dass viele unserer Mitglieder virtuelle Freundschaften geschlossen haben, z.B. durch den Austausch via Zoom oder Facetime. Diese virtuellen Gespräche waren eine der wenigen Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten. Weil viele Menschen gelangweilt zu Hause sassen, haben sie beschlossen, RentAFriend zu nutzen, um ihr Sozialleben wieder in Gang zu bringen.


Joachim Negel ist Professor für römisch-katholische Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie an der Universität Freiburg und Direktor des Instituts für Ökumenische Studien (ISO). Er hat in Würzburg Philosophie und Theologie studiert und war lange Dekan des Theologischen Studienjahres in Jerusalem an der Abtei Dormitio B.M.V.

RentAFriend ist eine 2009 in New Jersey gegründete virtuelle Plattform, die Freundschaftstreffen gegen Bezahlung anbietet. Ihr Gründer ist Scott Rosenbaum.

Text: Florence Valenne & Alexandra Andrist
Bilder: ZVG, Pixabay