Das Beauty-Business boomt, obwohl Schminke noch immer ein ambivalentes Thema ist. Aber wie sieht es mit der Maske unter der Maske aus?

«Ich stehe auf weniger geschminkte Frauen» ist ein Spruch, der nicht nur so vor Sexismus trieft, sondern auch darstellt, was viele Menschen von Schminke halten: Dezentes Make-Up ist professionell und feministisch, aber wer sich stark schminkt, hat etwas zu verbergen. Trotz diesem Vorurteil wurde 2019 der Umsatz der gesamten Beauty-Branche auf 500 Milliarden Dollar geschätzt, Tendenz steigend.

 

Schönheit kommt von innen, oder?

Nach einer weltweiten Umfrage von «Statista» aus dem Jahr 2019 kommt bei der Frage, welche Merkmale für die Schönheit einer Frau besonders wichtig sind, das Gesicht erst auf Platz sechs. Wichtiger sind der Humor, das Selbstvertrauen, die Intelligenz, die Würde und die Freundlichkeit. Das Hautbild kommt erst auf Platz zehn und Make-Up erst auf Platz achtzehn. Schönheit kommt also wirklich von innen, oder?

Eine repräsentative Studie des Werbesenders QVC hat 2017 jedoch herausgefunden, dass 74 Prozent der deutschen Frauen Schminke benutzen, um damit besser auszusehen. Obwohl unser Gesicht in Sachen Attraktivität nicht das allerwichtigste ist, schminken sich also doch die Mehrheit der Frauen.

Schminke wird oft als eine Art Maske beschrieben: Laut Duden steht das Wort «Schminke» für ein «kosmetisches Mittel […], das besonders für die […] Verschönerung oder (besonders in der Schauspielkunst) Veränderung des Aussehens benutzt wird». Mit Schminke können wir unser Gesicht verändern, und vielleicht auch eine Maske aufsetzen.

 

Die Biologie der Attraktivität

Mehrere wissenschaftliche Studien belegen, dass das äußere Erscheinungsbild meist das erste ist, welches wir in Sachen Attraktivität beurteilen. Charaktereigenschaften können eben nicht auf den ersten Blick erkannt werden. Prof. Dr. Haag-Wackernagel, Professor für Biologie an der Universität Basel, schreibt in seinem Artikel Die Biologie der Attraktivitätdarüber, dass die Wahrnehmung von Attraktivität dazu dient, bei der Partner*innensuche die beste Wahl zu treffen. Er sagt, um Nachwuchs mit optimalen Eigenschaften zu zeugen, suchen wir meist unterbewusst nach Genen, welche sich möglichst erfolgreich kombinieren lassen: «Ein breites Lächeln, grosse Augen und hervortretende Wangenknochen wirken bei beiden Geschlechtern anziehend.» Ausserdem sind ein grosser Augenabstand, eine grosse Augenbrauenhöhe und dicke Unterlippen sind vor allem bei Frauen begehrte Merkmale. Das symmetrische Gesicht bewerten viele als attraktiv. Die Forschung vermutet, dass eine hohe Symmetrie eine stabile embryonale Entwicklung widerspiegelt, die auf einer starken Resistenz gegen Krankheiten beruht.

Unsere Gesellschaft bevorzugt Menschen, die ihren Schönheitsidealen entsprechen. Als schön wahrgenommene Studierende erreichen im Durchschnitt höhere akademische Grade. Bei Bewerbungen kann Schönheit sogar wichtiger sein als Fachkompetenz. Schöne Kinder werden weniger hart bestraft, und auch vor Gericht erhalten attraktive Menschen geringere Strafen. In der Werbung treten vor allem attraktive Menschen auf, und auch in sozialen Medien wie Instagram wird viel Wert auf äußere Schönheit gelegt. 2021 deckte das Wall Street Journal einen Skandal auf, bei dem Facebook kritische Dokumente unter Verschluss hielt. Diese gaben preis, dass eins von drei Mädchen als Teenager durch die Nutzung von Instagram ein schlechteres Selbstbild entwickelt hatte.

Das Verlangen danach, bestimmten Schönheitsidealen oder Merkmalen zu entsprechen, mag biologisch in uns verankert sein, wird jedoch durch die Gesellschaft verstärkt. Wir «maskieren» uns, um größere Chancen auf Fortpflanzung zu erhalten und besser behandelt zu werden.

Die Debatte um die Schminke

Produkte aufzutragen, um besser auszusehen war schon vor Jahrtausenden beliebt: Schon die alten Ägypter*innen schmückten angeblich ihre Gesichter, um ihren Gottheiten ähnlicher zu werden. Doch wie eine Gesellschaft Schminke bewertete, unterschied sich je nach historischem Kontext stark. Im 19. Jahrhundert standen Prostituierte oder dekadente Adelige den «selbstredend ungeschminkten mütterlichen Frauen aus dem Volk» entgegen. Schminke konnte ein Symbol für Reichtum sein, wie es unter anderem Barbara Vinken in ihrem Buch Angezogen – das Geheimnis der Mode beschreibt. Schminke stand jedoch nicht nur für materielles, sondern auch für sexuelles Kapital.

Doch manchmal war es gerade umgekehrt: Je weniger Schminke «benötigt» wurde, desto natürlich attraktiver wurde eine Frau vor anderen wahrgenommen. Schminke wird also ambivalent bewertet. Sie kann einer Frau gesellschaftliche Vorteile verschaffen oder ihr Macht über ihren Körper verleihen. In der ersten feministischen Welle des frühen 20. Jahrhunderts galt das Tragen von rotem Lippenstift als Symbol für weibliche Emanzipation von diktierten Normen. Gleichzeitig steht die Schminke unter dem Verdacht, die Frau auf ihre Attraktivität zu reduzieren. Da lautet das Argument: Wer sich schminkt, müsse ein Problem mit dem eigenen Aussehen haben, und wer sich Feminist*in nennt, sollte die Finger von Make-Up lassen.

 

Wie Corona unser Schminkverhalten beeinflusst

Während der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass eine Maske zu tragen notwendig ist, um uns vor gefährlichen Viren zu schützen. Unser Schminkverhalten hat sich durch das Tragen von Masken verändert: Unter dem feuchten Filter halten diverse Produkte nicht gut, Lippenstift verschmiert und die Haut wird einem Milieu ausgesetzt, das Unreinheiten begünstigt. Andererseits sitzen wir öfters in Videokonferenzen, in denen der Fokus permanent auf das eigene Profil gerichtet ist.

Eine Studie der Unternehmensberatung «McKinsey & Company» zeigt, dass seit dem Beginn der Pandemie die globale Nachfrage nach Make-Up Produkten um bis zu 35 Prozent gesunken ist. Ein Grund dafür ist, dass ein großer Teil der Produkte in der Drogerie oder in Fachgeschäften verkauft werden, die während dem Lockdown schliessen mussten.

Ein neues Phänomen, das durch die langen Stunden vor dem Laptop entstanden ist, nennt sich der «Zoom-Effekt»: Dr. Rady Rahban, ein Schönheitschirurg aus Beverly Hills, erklärt in einem Interview, dass in den USA die Anfragen für Schönheitsoperationen um 30 Prozent gestiegen sind. Der Grund hierfür scheint zuerst zu sein, dass wir uns stetig im kleinen Zoom-Fenster selbst betrachten können, was für einige Menschen den Wunsch nach einer permanenten «Verschönerung» im Gesicht weckt. Ausserdem bieten viele Plattformen Gesichtsfilter an, die während einer Videokonferenz bestimmte Charakteristika der Gesichter verändern, wie wir es schon von Instagram und Co. kennen: vergrößerte Augen, eine kleine Stubsnase, erhöhte Wangenknochen, aufgeplusterte Lippen. Diese Filter lassen sich leichter als Maskierungen definieren, denn sie können Merkmale stärker verändern als es Schminke kann.

 

Sei schön, aber schmink dich dafür nicht

Fest steht, dass Schminke vielfältig ist und ambivalent bewertet wird. Sich zu schminken ist eine weitere Möglichkeit, sein Äußeres den eigenen Wünschen anzupassen, also eine Art der Selbstbestimmung. Aber diese Wünsche entstehen nicht in einem Vakuum, sondern werden von unserer Sozialisierung, Trends, bestehenden Geschlechterrollen und sogar aktuellen Gesundheitskrisen beeinflusst. Einerseits finden die meisten Schönheit wichtig und bevorzugen attraktive Menschen. Andererseits werden Frauen, die versuchen sich dem Ideal anzupassen, als unemanzipiert und nicht selbstbewusst deklariert. Die Debatte um die Schminke verdeutlicht, wie unsere Gesellschaft jene benachteiligt, die nicht dem Ideal entsprechen und gleichzeitig auf diejenigen herabblickt, die versuchen nachzuhelfen. Sei schön, aber schmink dich dafür nicht!

 

Bild und Illustrationen: Mara Lynette Wehofsky