wie viele wären wir

das verbrechen schläft nie

höchstens im gleichen bett wie du

in zürich

rückt die polizei fünfzehnmal pro tag aus

wegen häuslicher gewalt

in der schweiz

überlebt jede woche eine frau einen mordversuch durch ihren partner

überlebt jede zweite woche eine frau

nicht

dunkelziffer unbekannt

opfer unbenannt

 

jane doe

 

das sind einzelfälle

bereits sieben einzelfälle bis und mit april

im falle vieler einzelfälle hiesse es womöglich

struktur

 

jane doe

sexarbeiterinmuttertransfrau

im strassengrabenflusswohnzimmer

flache gräber

ein mord ist kein «familiendrama»

ein femizid ist kein offizieller begriff in der schweiz

wie viele

wie viele einzelfälle

müssen wir noch ausgraben?

 

wie viele wären wir

wenn wir nicht eine weniger wären?

 

jane doe schläft unruhig

staub in den lungen

heiser bis zur trunkenheit

eine faustvoll worte in den himmel

ni una menos verdammt nochmal

 

 

Text: Alyna Reading

 


¡Ni una menos!

Als Reaktion auf die wiederholten Femizide in der Stadt Juarez in Mexiko schrieb Aktivistin und Dichterin Susanna Chávez 1995: «Ni una mujer menos, ni una muerta más» (dt. «Nicht eine Frau weniger, nicht eine Tote mehr»). Seither wehren sich Frauen und Transpersonen weltweit mit diesem Ausruf gegen Femizide und patriarchale Gewalt.

Der Europarat formulierte 2011 die «Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt», umgangssprachlich als «Istanbul-Konvention» bezeichnet. Diese wertet häusliche Gewalt explizit als Menschenrechtsverletzung. In der Schweiz ist die Istanbul-Konvention 2018 in Kraft getreten. Dennoch fehlen Erhebungen darüber, welches Ausmass diese Gewalt annimmt und welche Ursachen dafür verantwortlich sind.

Das Projekt «Stopp Femizide» liefert Statistiken und Aufklärung: «Um Gewalt gegen Frauen möglichst umfassend zu dokumentieren, zählen wir nicht nur Femizide in Folge häuslicher Gewalt, sondern auch die Femizide, in denen die Täter keine Beziehung zu den Opfern hatten, Fälle von rassistischen, homo-, transphoben und behindertenfeindlichen Motiven, und solche an Sexarbeiterinnen.» Ausserdem fördert das Projekt angemessene mediale Berichterstattung, deren Fokus nicht auf den Tätern liegen soll. Mehr Informationen finden sich auf ihrer Webseite: https://www.stopfemizid.ch/deutsch#de2