Die Zukunft als Unbekanntes und Unvermeidliches jagt uns höllische Angst ein. Doch was, wenn wir nach Zeichen suchen, oder die Zukunft gar beeinflussen können?

Der Aberglaube wird im heutigen Kontext oft als eine Art Kontrolle benutzt, um der Ungewissheit der Zukunft entgegenzuwirken. Wir freuen uns, wenn wir vierblättrige Kleeblätter finden, glauben, dass es Glück bringt, wenn wir Sternschnuppen sehen oder pusten die ausgefallene Wimper mit einem Wunsch weg. Das grosse Nichts der Zukunft wird gefüllt mit Interpretationen, Horoskopen, Handlesen und der Suche nach Symbolen. Doch was heute teilweise instinktives Denken zu sein scheint, hat eine Geschichte, die bis in die Antike zurück geht.

Superstitio und δεισιδαιμονία

In der griechisch-römischen Antike wurde der Begriff für religiöse Überzeugungen und Praktiken verwendet, die von der sozialen und kulturellen Elite als unangemessen angesehen wurden. Der zum lateinischen superstitio äquivalente, griechische Begriff δεισιδαιμονία (deisidaimonia) bedeutet «Angst vor dem Göttlichen». Im 1. Jahrhundert vor Christus wurde der lateinische Begriff mit dem griechischen δεισιδαιμονία kombiniert. Als abergläubisch wurden also Menschen bezeichnet, die Angst vor den Göttern hatten und sich vom Göttlichen bedroht fühlten. Solches Verhalten wurde als beleidigend gegenüber den Göttern gewertet. Heute verstehen wir unter Aberglauben vor allem den Glauben an die Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte.

Der lebende Leichnam

Um die Extreme des Aberglaubens zu veranschaulichen, kann der Vampirmythos als Beispiel herangezogen werden. Der Glaube an übernatürliche Wesen, die nach ihrem Tod auferstehen und die Totenruhe stören, wurde im europäischen Raum als Ausdruck des Aberglaubens angesehen. Der Glaube an einen «lebenden Leichnam» geht zurück bis ins 12. und 13. Jahrhundert, wo in isländischen Sagen der «draugr» (lebender Leichnam) sein Grab verlässt und den Hinterbliebenen Schaden zufügt. Auch im mittelalterlichen England ist bereits von «Wiedergängern» die Rede. Der Vampirmythos, wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich dementsprechend über Jahrhunderte. Vor allem durch Werke wie The Vampyre(1819) von John Wiliam Polidori und Bram Stoker’s Dracula (1897) wandelte sich das animalistische Monster in einen charmanten Dandy.

 

Das Profil eines Blutsaugers

Die Quellen dieses Aberglaubens sind in ganz Europa verteilt und beinhalten dementsprechend unterschiedliche Aspekte: Ein Vampir zu werden, sei bei ungetauften und unehelich gezeugten Kindern wahrscheinlicher. Liege der Leichnam dann verkehrt im Grab und Fingernägel sowie Haare sind post mortem gewachsen, dann sei die Wahrscheinlichkeit noch höher. Dieser Glaube basierte vor allem auf Folklore sowie Fehlinformationen in Bezug auf den Verwesungsprozess. Denn mittlerweile ist bekannt, dass Fingernägel sowie Haare nach dem Tod nicht wachsen, sondern der Körper «zusammenfällt». Ein weiterer Teil des Aberglaubens waren die präventiven Massnahmen: Hinterbliebene überreichten einen dornigen Rosenstock als Grabbeigabe, malten Kreuze und andere religiöse Symbole an Wände oder schmierten den Türrahmen mit Knoblauch ein. Nutzte dies nichts, so wurde nach dem Tod das Grab geöffnet, der Leichnam geköpft, ein Pfahl durch den Körper oder eine Nadel durch den Kopf gestossen, der Mund mit Knoblauch gefüllt, das Herz entnommen und anschliessend verbrannt.

Knoblauch – immer in der Tasche

Das Beispiel des Vampirismus ist ein Versuch, den breiten Begriff des Aberglaubens zusammenzufassen, obwohl dieser bis heute keine klare Definition hat. Zu erkennen ist jedoch, dass Mythen und Sagen in Kombination mit Fehlinformationen, Angst und Unwissen zu einem Phänomen geführt haben, dass wir bis heute noch kennen. Der Glaube an Vampire ist zwar veraltet, und dennoch: Würdet ihr nicht auch als Erstes zu Knoblauch greifen, wenn euch einer über den Weg laufen würde?

 

Text: Maria Papantuono

Illustration: Alyna Reading