Ob Japanfest oder kulturelle «Blinddates»: Das Bernische Historische Museum ist bekannt für sein vielfältiges Programm. Diesen Herbst stand der Tag der Toten im Fokus.

Ein tröstlicher Gedanke prägt den Día de los Muertos, an welchem sich jedes Jahr am ersten und zweiten November die Strassen Mexikos mit Menschen füllen. Denn an diesem werden die Verstorbenen nicht betrauert, sondern gefeiert. Ein Ausflug ins Bernische Historische Museum zeigt, wie der Tod als Teil des Lebens betrachtet werden kann.

Ein traditionelles Familienfest

Der grosse Garten des Museums hat seine Tore geöffnet. Beim Eintritt fallen mir links und rechts Stände mit kunstvollen, bunten Girlanden auf, den sogenannten Papel Picados. Der Duft von (würzigem) Essen steigt mir in die Nase. Schon bald erblicke ich auf der Wiese die erste Ofrenda. Die Altäre sind einer oder einem Verstorbenen gewidmet. Solche sind in privaten Haushalten, aber auch auf öffentlichen Plätzen zu finden. Sie werden geschmückt mit Speisen, Kerzen, Papel Picados und mit Wasser gefüllten Gläsern. Denn laut dem Volksglauben erwachen die Toten am Día de los Muertos erneut zum Leben. Um sie willkommen zu heissen, werden ihnen diese Gaben offeriert. Das Besondere daran: Es sind Opfergaben, die der oder die Verstorbene besonders gemocht hat.

Nun betrete ich den Haupteingang. Hier wimmelt es von Familien. Dass Kinder ein Teil des mexikanischen Fests sind, ist klar. Geschminkt als bunte, lachende Totenköpfe feiern sie den Anlass.

Mit Xolos durchs Totenreich

Um 13 Uhr beginnt die Führung durchs Museum. Ein kurzer Abstecher in den mittelalterlichen Katholizismus erklärt zum Teil den Ursprung des Día de los Muertos. Damals war der Glaube an das Fegefeuer tief verankert. Dieses ist ein Ort für die Seelen, welche nicht direkt in den Himmel gelangen. Das veranlasste die Menschen dazu, auch nach dem Tod eines Familienmitglieds für dessen oder deren Begnadigung zu beten.

Der Día de los Muertos, wie wir ihn heute kennen, ist eine Kombination aus prähispanischen Ritualen und christlichem Glauben. Für das Volk der Azteken, der Nahua und der Tolteken gehörte der Tod zum Leben. Laut ihnen muss eine Person nach ihrem Tod während mehreren Jahren neun verschiedene Herausforderungen meistern, bevor er oder sie das Totenreich Mictlán erreicht. In einem Ausstellungsraum zeigt uns die Tourleiterin die kleine Figur eines Hundes. Solche Xolos, mexikanische Nackthunde, helfen den Toten auf ihrer Reise durch die Unterwelt.

Nach der Führung kriege ich Hunger. Neben leckeren Burritos und Tortilla-Chips mit Guacamole habe ich mir natürlich auch ein Pan de Muerto geholt. Das Hefegebäck ist eine süsse Opfergabe, bestreut mit Anissamen.

 

Ofrenda im Innern des Museums

 

Tröstlicher Umgang mit Verlust

Der Abschluss des Besuchs ist zugleich mein persönlicher Höhepunkt des Fests: Im kleinen Turm des Museums werden mexikanische Kurzfilme rund um den Día de los Muertos abgespielt. Im ersten Stop-Motion-Film stirbt der Grossvater eines jungen Mädchens. Ein kleines Plüschnashorn leistet ihr daraufhin Gesellschaft. Das Problem: Das Tier wächst und wächst und hat schon bald keinen Platz mehr im Zimmer. Am Ende verabschiedet sich das Mädchen vom Nashorn und umarmt es liebevoll. In einer Nachblende sehen wir den Grossvater, welcher von Nashörnern umgeben sein Leben im Paradies geniesst. Wofür das Tier steht, kann unterschiedlich gedeutet werden. Ist der Grossvater das Nashorn? Oder tröstet der Gedanke, dass ihr Grossvater nach seinem Tod nicht allein ist, das Mädchen?

Auch der zweite Film mit realen Schauspieler:innen berührt mich sehr. Ein alter Fischer angelt auf seinem kleinen Boot. Das Verwunderliche daran: Die Köder sind Erinnerungsstücke an seine verstorbene Frau oder Geliebte. Die Köder funktionieren gut, denn er angelt einen speziellen Gegenstand nach dem anderen. Am Abend putzt er sich heraus, kocht und tischt auf. Dann stiehlt sich ein wissendes Lächeln auf sein Gesicht. Eine wunderschöne, junge Frau steht vor ihm. Die beiden tanzen, ganz versunken in ihre eigene Welt, bis in die Nacht hinein. Es ist die Magie des Día de los Muertos, die wirkt: Die Tote besucht ihren Geliebten. Nach einer Weile kommt der Abschied und die Frau löst sich in Staub auf, ein Zeichen für ihre Rückkehr ins Jenseits.

Wenn auch traurig, wirken die Filme tröstlich. Beim Verlassen des Museums folgt mir der Gedanke des Día de los Muertos, dass unsere Toten noch immer Teil unserer Welt sind.

 

Text und Foto Amélie Oberson