Das Bernische Historische Museum zeigt Rassismus und Kolonialismus in Bern am Beispiel eines Wandbilds. Die Ausstellung ist bis am 1. Juni 2025 zu besuchen.

Das analphabetische Wandalphabet

Im Jahre 1949 bekamen die Künstler Eugen Jordi und Emil Zbinden den Auftrag, ein Wandalphabet für die Schule im Wylergut, Bern, zu gestalten. A wie Affe, E wie Esel, K wie Kuh, N wie …

Die drei Buchstaben des Alphabets N, I, C teilten die Menschheit in Rassen ein, die sich angeblich anhand ihrer Körpermerkmale unterscheiden. N steht dabei für Schwarze (so im Glossar: Schwarz als politische gewählte Selbstbezeichnung, die eine von Rassismus marginalisierte gesellschaftliche Position und den Widerstand gegen Entmenschlichung, Gewalt und Ausgrenzung beschreibt. Es beschreibt keine (Haut-)Farbe. Um dies zu markieren, wird Schwarz meist grossgeschrieben), C für Menschen des asiatischen Raumes (Chines:innen als eurozentristischer Sammelbegriff) und I für indigene Völker Nordamerikas. Diese Assoziationen sind nicht nur von diesen beiden Künstlern, sondern machen den ausgeprägten Rassismus (zu dieser Zeit) in der Gesellschaft sichtbar. Was wie ein Einzelfall erscheinen mag, ist kein Fehltritt zweier Personen.

 

Ein Wettbewerb um den menschlichen Verstand

1949 hatte die Dekolonialisierung bereits begonnen. Das heisst, dass das Wandbild schon zu diesem Zeitpunkt aus der Zeit gefallen war. Im Jahr 1990 beschwerte sich erstmals die Mutter eines dunkelhäutigen Kindes, dass das Wandbild abgenommen werden müsse. Die Schule lenkte nicht auf die Abnahme ein, entgegnete jedoch, den Buchstaben durch ein anderes Bild zu ersetzen. Das Nashorn wurde das neue «N». Kurze Zeit später wurde das Bild des Rhinozeros von unbekannten Personen abgehängt und das ursprüngliche Gemälde war wieder der rassistischen Präsentation vorgelegt. Das Wandbild verlor an öffentlichem Interesse, bis die Zeitung «Der Bund» 2019 einen Artikel darüber veröffentlichte und ein neues Feuer entfachte. 2020 wurde der Verein «Das Wandbild muss weg!» gegründet. Sein Ziel war es, die konservatorische Abnahme des Wandbildes und dessen Schenkung an das Bernische Historische Museum zu ermöglichen. Kurz nachdem die Black-Lives-Matter-Bewegung Europa erreichte, wurden die drei Buchstaben von Aktivist: innen mit schwarzer Farbe übermalt.  Seither gab es einen Kampf: die einen betrachten das Alphabet als Kulturgut, während die anderen eine düstere Vergangenheit der Geschichte darin entnehmen. Medien, die über das Geschehen im Wylergut schrieben, mussten in ihren Online-Publikationen die Kommentarfunktion ausschalten, da zu viele rassistische Äusserungen von Leser:innen geschrieben wurden. 2023 wurde das Wandalphabet abgenommen und ist seit Frühling 2024 im Bernischen Historischen Museum ausgestellt.

L wie Liebe

«Rassismus fängt mit Bildung an», sagt ein junger Mann während der Museumsführung. Vor dem Wandbild bleibt er stehen. Mit grossen Augen, worin sich die Enttäuschung spiegelt, betrachtet er das drei Meter hohe Alphabet. Sein Kopf wandert von Buchstabe zu Buchstabe und bleibt bei den schwarz übermalten Quadraten hängen. Die Rassentheorie ist deutlich zu entnehmen. Die weisse Rasse stehe laut dem Bild für «Kultur», währen die restlichen zur «Natur» gehören würden und somit zwischen Tieren und Pflanzen eingebettet sind. Sie werden bruchlos in die Welt der Fotosynthese betreibenden Geschöpfe eingereiht.

Es ist Zeit eines Alphabets, in dem A für Anti-Rassismus, E für Empathie, D für Dekolonialisierung und L für Liebe steht. Liebe für alle und für jeden.

 

Text und Foto Joëlle Sorg