Der Schweizer Erfolgsautor Peter Stamm hat am Donnerstag, 20. September, aus seinem neuen Erzählband „Seerücken“ vorgelesen. Das Publikum im Centre Fries war wohl selten so still und gebannt.
Der kleine Saal im Centre Fries ist bis auf den hintersten Stuhl besetzt, viele stehen hinten im zweiten Raum und schauen von dort auf die Bühne. Diese ist liebevoll eingerichtet, mit einem bequemen Sessel und einem kleinen Tischchen auf dem Wasser, Wein und eine flackernde Kerze stehen. Der Organisator der Lesung Jàn Jambour stellt den Autoren kurz vor und beteuert dabei, dass Peter Stamms Leben zu erzählen so wäre, wie wenn man Eulen nach Freiburg trüge. Das Publikum ist gespannt.
Peter Stamm beginnt seine Lesung mit den Worten „ich wähle meine Geschichte immer spontan je nach Publikum aus.“ Da im Saal viele Studierende sitzen, entschliesst er sich aus seinem Buch „Seerücken“ eine Geschichte über ein junges Paar, das frisch zusammenzieht, vorzulesen.
Vom Aufbruch und vom Untergang
Die Geschichte mit dem schönfärberischen Titel „Sweet Dreams“ beschreibt die Unsicherheit, aber auch die Vorfreude des jungen Paares auf das, was die Zukunft bringt. Lara ist 21, Simon 24. Welches Bett aus Ikea wird gekauft? Wie streichen sie die Wände? Welchen Korkenzieher brauchen sie? Diese Fragen bewegen die beiden. Es sind die glücklichen, aber auch beängstigenden Gedanken des Aufbruchs.
Klingt nicht gerade nach einer abenteuerlichen, heldenhaften Story, aber genau das macht die Geschichte aus. Der banale Alltag in seiner ganzen Schönheit. ‚Die Ideen liegen auf den Strassen‘ schreibt Stamm im Buch und er bestätigt diese Aussage auch an diesem Abend nochmals: „Geschichten findet man überall, die Kunst ist es, zu wissen, welche man erzählen möchte.“
Man kann dem Publikum ansehen, wie es förmlich in der Geschichte des jungen Paares versinkt und vielleicht stellt sich der eine oder die andere vor, wie das bei ihm oder ihr einmal sein wird mit der ersten gemeinsamen Wohnung.
Mit seiner zweiten Geschichte „Schiffbruch“ wechselt die Kulisse. Man befindet sich nicht mehr in der kleinen, einfach eingerichteten Wohnung eines jungen Paares, sondern im Grand Hotel Dolder in Zürich. Es geht um einen Gast, der sein ganzes Geld beim Börsenhandel verspielt hat und der bei seinem Streifzug durchs Hotel in der Bibliothek Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ entdeckt. Daraufhin verschliesst er sich im Zimmer und liest. Immer mehr stellt er sich vor, wie Robinson zu sein, alleine und verloren. So versucht er wie Robinson mit den Gegenständen, die er finden kann (zwei Regenschirme aus dem Schrank, dem Inhalt der Minibar und den Gratisseifen) sein Leben neu zu formen. Es ist keine fröhliche Geschichte wie „Sweet Dreams“, sondern handelt vom Scheitern, vom Untergang seines früheren Lebens. Das Ende bleibt offen
Offene Enden
Bei der anschliessenden Fragerunde schiessen schnell ein paar Hände in die Höhe. Das Publikum hat Fragen zu den beiden vorgelesenen Geschichten, aber auch zu anderen Werken von Peter Stamm. Der Autor beantwortet alle Fragen präzise, nur einmal als ein Student wissen will, wie die Kurzgeschichte „Schiffbruch“ zu Ende geht, schweigt der Autor. Es handle sich dabei um die Interpretation der Leserschaft, dazu möchte er nichts sagen, erklärt er. Doch seine offenen Enden seien nicht dazu da, das Publikum im Ungewissen zu lassen. Er möchte nur keine Pointen am Ende von Geschichten, sagt er, da durch einen Höhepunkt am Ende der Erzählung die Geschichte selbst nicht mehr zähle.
So bleiben die Geheimnisse um die offenen Enden seiner Bücher und Kurzgeschichten ungelüftet. Er meint aber lachend, er werde für nach seinem Tode ein Lösungsbuch zu den Geschichten schreiben.
Die Lesung endet mit tosendem Applaus und als sich die Leute um den Verkaufstisch scharen oder noch ein Bier trinken, hängen die beiden gefühlsvollen Kurzgeschichten wie Erinnerungen noch immer in der Luft.
Von Fiona Feuz
Foto: Gaby Gerster