Yoga soll « Körper, Geist und Seele in Einklang bringen » und den Menschen die Möglichkeit geben, einen eigenen Raum zu schaffen. So auch im „Alcatraz der Schweiz“. Spectrum war bei einer Stunde in der Gefängnisanstalt Thorberg mit dem Yogalehrer Peter Herrmann dabei.
Fernab der Gesellschaft thront auf einem Felsen das ehemalige Kartäuserkloster Thorberg, umringt von Mauern und Stacheldrahtzaun. Das Gefängnis liegt rund 14 Kilometer ausserhalb von Bern. « Nicht allzu weit », könnte man denken, doch Thorberg scheint ein eigener kleiner Staat zu sein. Von der Zivilisation abgeschottet wohnen hier fast zweihundert Männer. Man sagt, an diesem Ort seien die „schweren Jungs“ untergebracht: Schwerverbrecher, Gemeingefährliche und Wiederholungstäter.
Entspannung fernab der Leistungsgesellschaft
Peter Herrmann gibt hier Yogastunden. Er selber praktiziert seit mehr als zwanzig Jahren und unterrichtet seit zehn Jahren. Als in Thorberg eine Therapieanstalt (siehe Infokasten unten) eröffnet wurde, kam ihm die Idee, dort Yogastunden zu geben. Seit einem Jahr nun ist Herrmann in Thorberg Yogainstruktor. Es ist ihm wichtig, den Menschen etwas davon weiterzugeben, was Yoga für ihn bedeutet: Freude an der Bewegung, vertiefte Selbstwahrnehmung und ganzheitliche Entspannung. Und das alles ganz ohne Leistungsdruck.
Als wir uns dem Eingang der Anstalt nähern, durchströmt mich beim Anblick des vergitterten Tors ein mulmiges Gefühl. « Am Anfang war es schon merkwürdig, einfach in ein Gefängnis herein zu spazieren. Und die ständige Beobachtung, die Sicherheitskameras. Doch man gewöhnt sich daran », meint Herrmann, als wir nach der Sicherheitskontrolle in den Innenhof treten. Dort steht ein riesiger Baum, seine Wurzeln begraben unter den Pflastersteinen, gefangen zwischen kaltem Stein, wie die Bewohner des Thorbergs. Neben uns ragt ein grosses Gebäude mit zahlreichen Fenstern in die Höhe, man hört Stimmen und Geräusche. Wären da nicht die vergitterten Fenster, könnte es ein Studierendenheim sein.
Neben Verwaltungsgebäude und Angestelltenmensa fällt eine kleine, von Glas umgebene Kapelle auf. Hier werden diverse Veranstaltungen durchgeführt, etwa vor wenigen Monaten die Premiere des Dokfilms « Thorberg, Hinter Gittern » von Dieter Fahrer. Die Insassen erhielten darin eine Möglichkeit, von ihrem Leben im Gefängnis zu erzählen, aber auch von ihrem Leben davor, dem Leben « draussen ». Der Film hat viele Fragen aufgeworfen und die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Das Museum für Kommunikation lancierte eine Ausstellung über die Anstalt Thorberg, an der Uni Bern fand eine Podiumsdiskussion statt.
Andere Verpflichtungen sind eher unwahrscheinlich
Doch heute steht in der verglasten Kapelle Yoga auf dem Programm. Während wir die blauen Yogamatten auf dem Boden ausbreiten, erzählt Peter Herrmann munter von seinem Werdegang und dem Gefängnisyoga. Er führt die Kurse alleine durch, ohne Beaufsichtigung. Angst hat er keine, er fühle sich sehr wohl auf dem Thorberg und unter seinen Yogateilnehmern. Ausserdem wisse er kaum etwas über die Häftlinge, und das sei vielleicht auch besser so. Für ihn sind die Insassen eine Yogagruppe wie jede andere. „Die Kurslektion unterscheidet sich nicht gross von anderen. Ich nehme ein wenig Rücksicht darauf, dass die Leute im Gefängnis weniger Bewegung haben und mache entsprechende Übungen, aber das ist der einzige Unterschied.“ erklärt Herrmann. Heute besteht die Gruppe aus fünf Bewohnern des Thorbergs, was laut Herrmann eine normale Anzahl ist, sieben wären die Obergrenze. Meistens kämen die gleichen, « ein Fehlen aufgrund von Ferien oder Terminen ist im Gefängnis ja eher unwahrscheinlich ».
Nachdem die Teilnehmer ihre Plätze auf den Matten eingenommen haben, ist schnell Ruhe eingekehrt. Bald schon breitet sich in der kleinen Gefängniskapelle eine entspannte Atmosphäre aus. Nur in mir scheint die Ruhe noch nicht ganz eingekehrt zu sein, die Situation lässt mich grübeln: Den Männern um mich herum merkt man nichts an, ich könnte sie auf der Strasse treffen und würde sie freundlich grüssen. Nie käme mir der Gedanke, dass sie Kriminelle sein könnten.Obwohl man weiss, dass auch Straffällige eigentlich gewöhnliche Menschen sind, erwartet man häufig, dass sich ihre Andersartigkeit an etwas Äusserlichem festmachen lässt. Ein irrer Blick, ein vernarbtes Gesicht, Tattoos – Merkmale, die man womöglich aus dem Fernsehen kennt. Man sucht nach einer Rechtfertigung dafür, dass gewisse Menschen weggesperrt werden, weil sie schlicht und einfach gefährlich sind. Und man erwartet ein sichtbares Merkmal ihrer Straftaten.
Blick von der anderen Seite
Nach der Stunde fragen wir zwei Häftlinge, warum sie Yoga praktizieren. „Die Freizeit und Bewegungsfreiheit in einem Gefängnis sind beschränkt, Yoga ist eine willkommene Abwechslung und Möglichkeit zur Ruhe zu kommen“, vertrauen sie uns an. Nur einer der beiden hat vor dem Strafvollzug schon Yoga praktiziert, der andere fand das damals „draussen“, weniger ansprechend, meint er mit einem Schmunzeln. Doch heute geniesst er die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Es gelinge ihm nicht jedes Mal, sich völlig zu entspannen, doch einen Versuch sei es immer wert.
Und wieder holt mich die Tatsache ein, dass wir uns in einem Gefängnis befinden. Unsere beiden Gesprächspartner wirken sympathisch und aufgeschlossen. Ich ärgere mich schon fast darüber, wie erstaunt ich ob ihrer Menschlichkeit bin. Sie sind mir sympathischer als viele Menschen ausserhalb des Thorbergs. Und so beginnt meine schön zurechtgelegte Rechtfertigung, warum gewisse Menschen weggesperrt werden dürfen, zu bröckeln.
Nach dem Gespräch mit den beiden Häftlingen verabschieden wir uns. Und jetzt, wenige Minuten nachdem wir gemeinsam eine friedliche, entspannte Yogastunde verbracht haben, sehen unsere Realität und jene der anderen Yogateilnehmer komplett verschieden aus. Sie gehen zurück in ihre Zellen, während wir durch das vergitterte Tor hinaus treten, zurück in die Freiheit.
Von Céline Krapf
Foto: Polizei- und Militärdirektion Kanton Bern
Zur Gefängnisanstalt Thorberg:
Der Thorberg beherbergt 180 Häftlinge aus 40 Nationen und eröffnete vor etwas mehr als einem Jahr eine Therapieabteilung für Täter mit schweren psychischen Störungen. Dort haben Häftlinge die Option, einmal die Woche eine Yogastunde zu besuchen.
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