Vor einem Jahr war ich auf der Suche nach einem Master in europäischer Geschichte. Gefunden habe ich nur einen: den Master in Europäischer Zeitgeschichte in Luxemburg. Als ich mich dafür entschied, war ich noch nie im Land gewesen, wusste nicht mehr darüber, als dass es klein ist und reich. Heute weiß ich, dass sowohl dem Land als auch dem Master vor allem eines fehlt: Bekanntheit. Beide haben verdient, dass sich das ändert. Ein Erfahrungsbericht.
Ein kleiner, heller Seminarraum. An den Wänden stehen überall Bücherregale. Am Tischviereck: gut ein Dutzend Studenten. Jeder zweite kommt aus einem anderen Land – Luxemburg, Portugal, Griechenland, Deutschland, Rumänien, Algerien. Wer einen internationalen Studiengang sucht, ist hier genau richtig. Thematisch ohnehin: Es ist der aktuelle Jahrgang des Masters in Europäischer Zeitgeschichte. Wenn es um die EU-Geschichte geht, um das heutige Europa, wird aus vielen Perspektiven heraus diskutiert. Die Dozenten befürworten den Austausch; bei so kleinen Seminaren ist das Klima fast familiär. Und jeder bringt aus seinem Land nicht nur nationales Geschichtswissen mit, sondern auch eigenes Gegenwartsempfinden.
Sprachenvielfalt
Als ich zum Wintersemester 2012 nach Luxemburg komme, verstehe ich Französisch zwar halbwegs – aber spreche es nur gebrochen. Mein Studium wird dadurch kaum beeinträchtigt: Der Master ist dreisprachig, Französisch-Englisch-Deutsch. In jeder Stunde wird mehrfach gewechselt, teils mit jeder Nachfrage. Prüfungsleistungen darf ich in der Sprache meiner Wahl ablegen, das beruhigt – und rettet manche Note. Selbst die Dozenten beherrschen das eine besser als das andere – sie kommen aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, Deutschland, Italien.
Welchen Schwerpunkt setze ich?
Schon in der Auswahl des Studiengangs ist die familiäre Größe für mich ein Argument. 20 bis 25 Studenten werden pro Jahr angenommen. Vor Ort erfahre ich, dass sich diese Gruppe noch einmal teilt: Je nach Interesse kann ich mein Wissen in europäischer Geschichte „dans la longue durée“, von der Antike bis heute, vertiefen. Oder ich lege meinen Schwerpunkt auf die letzten 100 Jahre, auf europäische Einheitsideen und die Schritte zu deren Durchsetzung. Ich entscheide mich für das letztere; es war das Interesse an der Europäischen Union, das mich nach Luxemburg gelockt hat. Auf Zeitgeschichte beschränken muss ich mich deshalb aber nicht: Gemeinsam belegen die Studenten beider Vertiefungsrichtungen Seminare zur Definition des Raumes „Europa“ von der Antike bis heute, zur Geschichte der europäischen Migration – die mit der Besiedlung des Kontinents beginnt, zur Ausdehnung und äußeren Beeinflussung des eigenen Kulturraumes.
Exkursionen gehören dazu
Studiert wird nicht nur an der Universität: Zum Master gehört mindestens eine Exkursion zu wichtigen Ausstellungen, Erinnerungsorten, Museen in ganz Europa. Ein solcher liegt freilich direkt vor der Tür: Luxemburg ist der erste Sitz der ersten europäischen Gemeinschaft, jener für Kohle und Stahl (Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EKGS existierte von 1951 bis 2002, Anm. d. Red.). Bis heute sind etliche EU-Institutionen im Großherzogtum untergebracht. Eine davon ist das große EU-Archiv – was viele Recherchen fürs Studium ungemein erleichtert, teils überhaupt erst ermöglicht.
Die Uni hilft mit
Das Land Luxemburg, sonst hauptsächlich ein Bankenstandpunkt, bemüht sich, Studieren so einfach wie möglich zu gestalten. Studiengebühren gibt es nicht. Wer nicht selbst eine Unterkunft findet, kann sich bei der Universität um ein Zimmer bewerben. Die Wohnheime sind zwar über das ganze Land verstreut – aber sonderlich lang ist kein Weg in Luxemburg. Was der recht jungen Universität noch fehlt, ist eine gute Bibliothek. Zwar gibt es einige kleine Standpunkte, deren Bestände sind allerdings noch im Aufbaustadium. Immerhin – jeder Student kann die etwas größere Nationalbibliothek des Landes nutzen. Zudem hat sich jeder Fachbereich eigene Sammlungen erstellt, die in den jeweiligen Seminarräumen die Wände säumen. Und schließlich öffnen die allermeisten Professoren dem interessierten und bedürftigen Studenten auch die Bücherschränke ihrer privaten Büros.
Die studentische Ader kommt nicht zu kurz
Das Land ist idyllisch schön, es strotzt geradezu von Wäldern, Auen und Kühen. Die studentische Ader kommt dennoch nicht zu kurz – an jedem Wochenende ist in irgendeinem Wohnheim eine Party. Eine ausgeprägte Kulturszene gibt es außerdem, von zahlreichen Festivals und Ausstellungen über die Rockhal (Konzerthalle, Anm. d. Red.) bis zum Sinfoniekonzert. Bei Vorlage des Studentenausweises gibt es fast überall Rabatt; vieles ist ganz umsonst. Mein erstes Semester in Luxemburg ist vorbei. Mein Geschichtsbild ist, von einem deutschlandzentrierten Standpunkt kommend, deutlich europäischer geworden. Und nicht nur meine historischen Europa-Kenntnisse habe ich erweitert: Heute kenne ich es besser, das letzte Großherzogtum der Welt. Und bin mir sicher: Die Wahl, hier europäische Geschichte zu studieren, war nicht nur meine einzige. Es war die richtige.
Text von Mechthild Herzog
Fotos von Michel Brumat und Luc Deflorenne
Website der Universität Luxemburg: www.uni.lu
Website des Masters: http://mahec.uni.lu/ Unterrichtssprachen: Französisch, Englisch, Deutsch Voraussetzungen: Bachelor- oder vergleichbarer Abschluss in Geschichte oder einem naheliegenden Fachbereich; gute Kenntnisse in mindestens zwei der drei Unterrichtssprachen Semestergebühren: 200 Euro Dauer: 2 Jahre Abschluss: Master of Arts (120 ECTS-Punkte) |