Sex sells – ein Motto, dass das Marketing prägt. Doch ist Sex gleich Sexualität? Und wie alltäglich ist Sexualität in der Gesellschaft wirklich? Acht Studentinnen und Studenten des Studienganges Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit haben sich mit diesen Fragen befasst und eine Studienwoche zum Recht auf Sexualität zusammengestellt. Dabei standen Themen wie Sexualität und Behinderung, das Zölibat oder transexuelle Menschen im Zentrum.
Um kurz vor fünf quetschten sich die letzten Besucher noch in die hinterste Reihe, ehe Herr Dr. Rainer Kamber, Mitarbeiter der sexuellen Gesundheit Schweiz, seinen Vortrag begann. Thema: Sexualität und Geschlechtskrankheit. Unter dem Motto: Was, wenn man nicht darf? klärte Dr. Kamber über verschiedene Geschlechtskrankheiten auf. Im Raum wurde es plötzlich ziemlich still. Eines der grössten Probleme bei Geschlechtskrankheiten sei die Scham, erklärte er. Die Angst mit seinem Partner zu sprechen, die Unsicherheit, zu einem Arzt zu gehen. Wobei genau dies helfen würde, die Verbreitung zu reduzieren. Aber auch Safer Sex ist eine einfache Art, die Verbreitung einzudämmen und dennoch Sex zu haben. Trotz allem machte Herr Dr. Kamber deutlich, ein Recht auf Geschlechtsverkehr bestehe nicht, allerdings ein Recht auf seine eigene Sexualität, als gesundheitliches Grundbedürfnis.
„I love being a woman – I hate being treated as a freak“
Die Sexualität und die eigenen Gefühle standen auch beim zweiten Vortrag der Woche im Zentrum. Niels Rebetez, selbst Student an der Universität Fribourg, erzählte über das Leben und Leiden eines Transmenschen.
„Die erste Frage in jedem Formular ist die Frage nach dem Geschlecht. Aber was kreuzt ein Transmensch an?,“ fragte er ins Publikum. In der Schweiz gibt es je nach Schätzung zwischen 6‘000 und 40‘000 Transmenschen, viele von ihnen leiden nach der Transition, der Umwandlung in das andere Geschlecht, unter (un)sichtbarer Diskriminierung. Niels Rebetez wünscht sich ein grösseres Bewusstsein und weniger Tabuisierung für transsexuelle Menschen, denn die Stigmatisierung und Diskriminierung sind schmerzlich, nicht die eigene Sexualität.
Behinderung und Sexualität
Francesco L. Bertoli, Präsident des Behindertenforums, erzählte am Anfang seines Vortrages mit einem Lachen über seine erste grosse Liebe – eine Frau mit einer Hörbehinderung. In dieser Zeit hatte er seine ersten sexuellen Erfahrungen. Er sitzt im Rollstuhl, da er eine angeborene Form der Gelenksteife hat und wendet seine Blätter mit dem Mund. Das Thema Sexualität und Behinderung ist seit zehn Jahren ein viel diskutiertes Thema. Ausschlaggebend für viele Diskussionen war auch die Ausbildung zum Sexualassistenten, bekannt als Berührer, da viele Personen gegen eine sexuelle Aktvität von Personen mit geistiger Behinderung sind. Auch Francesco L. Bertoli erachtet den Beruf einer Berührerin als wenig sinnvoll, da zum Teil erst durch Berührungen die Frage nach dem Geschlechtsverkehr aufkommt. In diesem Jahr bietet das Institut der Selbst-Bestimmung Behinderter (kurz ISBB) neu die Ausbildung zur Sexualbegleiterin an. Die Begleiter und Begleiterinnen bieten in diesem Modell eine Ersatzpartnerschaft gegen Bezahlung an, dabei kann es auch zum Geschlechtsverkehr kommen, sofern die Begleiter dies auch möchten. Aber ein Recht auf Geschlechtsverkehr gibt es für niemanden, nur ein Recht auf seine Sexualität, denn zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen gibt es keine Differenzen in der Sexualität.
Sexualität und die katholische Kirche
Der letzte Tag der Woche widmete sich dem Zölibat. Was, wenn man nicht wollen sollte? Marielle Moosburg und Beatrice Hinne-Gutzwiller, beide verheiratet mit einem ehemaligen Priester und beide Mitglieder des Vereins Zölibat betroffener Frauen, erzählten in einer Podiumsdiskussion über die verpönte Liebe, Vorwürfe und die Schuldgefühle. Neben den beiden sprachen auch Donat Oberson und Beat SJ Altenbach über ihre Situation mit dem Zölibat. Donat Oberson, ehemaliger katholischer Priester, schilderte über seine Erfahrungen mit der Sexualität und seinen Entschluss auszutreten. Beat SJ Altenbach, ein Jesuitenpriester und zölibatär lebend, erzählte, wie man mit seiner eigenen Sexualität umgehe, wenn man im Zölibat lebt. Eine sexuelle Abstinenz sieht Beat SJ Altenbach als nicht möglich, die Verteuflung der Kirche von jeglicher Sexualität ist dabei sogar gefährlich. Man muss auf das Zölibat vorbereitet werden, was oft zu wenig getan wird und seine Triebe, wie Sehnsüchte akzeptieren und damit leben lernen. „Je gelassener man damit umgeht und auch einmal selbst Hand anlegt, desto besser kann man damit umgehen,“ so Beat SJ Altenbach.
In der Diskussion wurde deutlich, dass das Zölibat nicht auf den Sex reduziert werden kann. Es geht dabei darum, seine eigene Sexualität zu begreifen, aber zu akzeptieren, dass eine tiefe Bindung zu einem anderen Menschen nie möglich sein kann.
Sexualität nicht gleich Sex
In der Fernsehwerbung, auf Plakaten oder im Radio ist Sex ein gern verwendetes Mittel, das gezielt eingesetzt wird, um Konsumenten zum Kauf zu bewegen. In den Vorträgen der Studienwoche wurde jedoch deutlich, dass Sexualität viel weiter geht, als der blosse Geschlechtsverkehr, denn unter der Sexualität werden alle Aspekte der menschlichen Existenzweise verstanden, in denen die Tatsache des Mann-, oder Frauseins eine Rolle spielen. Dies betrifft sowohl den Transmenschen, die Menschen mit Behinderungen, aber auch Priester, die im Zölibat leben. Denn die Sexualität, wird sie auch in vielen Formen immer noch in der Gesellschaft als Tabu betrachtet, betrifft alle Menschen – in vielen verschiedenen Facetten.
Text von Fiona Feuz
Fotos von Noemi Sieber