Kuba – das sind Zigarren, Che Guevara und Mojitos. Das sind schöne Strände, fröhliche Menschen und viel Musik. Das sind alte Autos, bunte Häuser und tropische Temperaturen. Doch wie lebt es ich in diesem Land, jenseits aller Klischees? Auf Spurensuche hinter der Touristenfassade.
Von Lisa Bieri
Kleine Jungen spielen mit nacktem Oberkörper Fussball. Eine alte Frau sammelt leere Flaschen. Ein Polizist in viel zu engen Hosen steht gelangweilt herum. Ein junges Paar drückt sich in einem Hauseingang eng aneinander. Eine Frau lässt von ihrem Balkon an einer Schur ein Säckchen herunter, um etwas zu verkaufen. Ein Huhn überquert die Strasse. Ein Vater hält an der einen Hand seinen Sohn, in der anderen einen Sonnenschirm. Ein alter Mann liest auf einer Bank die Zeitung. Zwei junge Frauen stolzieren laut lachend und wild gestikulierend vorbei, die eine trägt einen Ventilator unter dem Arm. Nachbarn unterhalten sich in einem Haus ohne Fensterscheiben von Fenster zu Fenster. So sieht eine Strassenszene in einer beliebigen kubanischen Stadt aus.
Eine Reise nach Kuba ist eine Reise in die Vergangenheit. In eine Zeit, in der die Menschen nicht alle wie Zombies auf einen kleinen Bildschirm in ihrer Hand starren. In eine Zeit, in der noch Pferdekutschen auf den Strassen unterwegs sind. In eine Zeit, in der es keine Supermärkte mit Regalen voller nahezu identischer Yoghurts gibt. So idyllisch das klingen mag, in Kuba ist das harte Realität. Zugang zum Internet und somit zum Rest der Welt haben nur die Wenigsten, von 1000 Kubanern besitzen gerade einmal 38 ein eigenes Auto (im Vergleich zu 800 von 1000 in den USA) und es ist keine Seltenheit, dass Eier, Reis und Öl alles sind, was sich in einem kubanischen Laden kaufen lässt.
Kuba hat einen Alphabetisierungsgrad von 99.8 Prozent. Die meisten Menschen sind hochintelligent und sehr gut ausgebildet. Doch was nützt das, wenn Ärzte, Lehrer und Ingenieure als Taxifahrer, Kellner und Zimmervermieter arbeiten, weil sie da mehr verdienen? Nebst dem Peso Cubano, der ursprünglichen Währung Kubas, in der die staatlichen Löhne ausgezahlt werden und Grundnahrungsmittel und einfache Dienstleistungen bezahlt werden, gibt es nämlich den Peso convertible, der für importierte Ware und alles andere, was die einfachsten Grundbedürfnisse übersteigt, gebraucht wird. Touristen bringen Pesos convertibles mit sich und das macht das Geschäft mit ihnen so attraktiv.
Das Leben in Kuba ist hart. Ein junges Paar fragt mich – halb im Scherz, halb im Ernst – was die grössten Errungenschaften der Revolution seien? Auf mein Schulterzucken folgt die Antwort: Bildung, Gesundheit und Sport. Die Folgefrage kommt sogleich – was seien denn die grössten Mängel der Revolution? Zmorge, Zmittag, Znacht. Hunger. Als Kuba mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion seinen wichtigsten Handelspartner und Geldgeber verlor, gab es Zeiten, da mussten Menschen mit einem Glas Zuckerwasser pro Tag durchkommen, weil es schlichtweg nichts zu essen gab. Die Lage ist heute nicht mehr ganz so prekär wie damals, aber ein Zuckerschlecken ist der Alltag in Kuba noch immer nicht.
Die meistgehörten Sätze sind „no hay“ (hat es nicht), „no funciona“ (funktioniert nicht) und „está cerrado“ (ist geschlossen). Doch die Kubaner sind Überlebenskünstler. Mit Geduld, Improvisationstalent und Humor schaffen sie es, ihren beschwerlichen Alltag mit einer Leichtigkeit zu meistern, die einen beinahe vergessen lässt, wie viel Kraft er ihnen jeden einzelnen Tag kostet.