Immer mehr Sexshops verschreiben sich dem offenen Dialog über Sexualität. Begriffe wie „Sexpositivismus“, „Inklusion“ und „Nachhaltigkeit“ prägen die Läden, in denen man nicht nur auf lustige Sex-Spielzeuge, sondern auch begeisterte Menschen trifft.
Beim Eintreten von der Straße an einem kühlen Frühlingstag umgibt mich sofort wohlige Wärme. Es läuft Pop-Musik im Hintergrund, an den hellen Wänden hängen Blumensträusse und durch die Fenster fällt das Tageslicht herein. An einer aus Ästen zusammengestellten Kleiderstange hängen schwarze, rote und blaue Spitzenunterhöschen; ein Blick auf das Etikett verrät: Periodenunterwäsche. Im vorderen Teil des Ladens steht ein Display mit bunten Gleitgeltuben, Massageölen und Kondomen. In einer Holzvitrine im hinteren Teil liegen kunstvoll geschwungene Holzdildos. Die könnten schon fast als Deko auf dem Schreibtisch durchgehen.
Aus einem Regal voller interessant geformter Sexspielzeuge nehme ich einen violetten Druckwellenvibrator, und lasse ihn mit seinen fünf Intensitätsstufen für ein paar surrende Momente an meiner Handfläche saugen. Auf einer Theke stehen neben mehreren Duftkerzen in Torsoform, rosa und blau glitzernde gewundene Hörner. Beim genaueren Hinsehen erkennt man, dass es sich um Einhorn-Hörner handelt. «Das sind unsere neuen Schmuckstücke: Silikon-Dildos aus Frankreich!», erklärt die lachende Verkäuferin in schnellem Französisch. Die Dildos, die aussehen wie zentrale Accessoires eines detaillierten Cosplay-Kostüms, sind ebenfalls Teil der Produktpalette des neueröffneten BLOOM Shops in der Freiburger Altstadt. «Boutique dédiée à la santé sexuelle» steht am vordersten Fenster, ein Sexshop also, der sich der sexuellen Gesundheit verschrieben hat.
Sie hat Bock, mehr zu wissen
Nach dem Verlassen des Shops möchte ich mehr wissen. Sexualität ist ein Themenfeld, welches mich nach dem Lesen vieler Bücher mit aufregenden Titeln wie «Sie hat Bock» von Katja Lewina oder «Untenrum Frei» von Margarete Stokowski immer wieder fasziniert. Was hat es mit diesen Sexshops auf sich, welche sich als sexpositiv und queer-feministisch bezeichnen? Der Online-Händler Amorelie verdreifachte seinen Gewinn innerhalb von drei Jahren mit dem Versenden von Erotik-Artikeln, die Eis.de Werbung wurde heiss diskutiert. Laut einer Statista-Umfrage hat sich in den letzten zwei Jahren die Zahl der Befragten, die ein Sextoy besitzen, verdoppelt.
Cyrielle Goetschi, eine studierte Sozialpädagogin, ist die Mitbegründerin von BLOOM und erklärt, dass sie Produkte rund ums Genital anbieten möchten. Durch ein Crowdfunding wurde die Eröffnung 2021 möglich gemacht. Es gibt Periodenprodukte wie Tampons und Menstruationstassen, Sexspielzeug wie Vibratoren und Dildos, Bücher für alle Altersgruppen und auch simple Duftkerzen. «Nachhaltigkeit gehört für uns essenziel dazu», sagt Goetschi und zeigt lächelnd auf die Kondome aus Naturkautschuk. Die Produkte werden möglichst fair, lokal und bio hergestellt, erklärt sie, und betont, dass ihnen der persönliche Kontakt zu den Hersteller*innen besonders wichtig ist. «Alle Menschen sollen sich bei uns wohlfühlen», sagt Goetschi. Genderinklusion und eine sexpositive Atmosphäre seien ein weiterer Grund für die bunten Verpackungen und offenen Fenster.
Am Ende der Reise durch das BLOOM Universum drückt mir Goetschi einen Flyer in die Hand. BLOOM veranstaltet zusätzlich Workshops und Treffen zu Themen wie dem Eintreten in die Pubertät oder der Kommunikation in Beziehungen, auch die Informationsarbeit rund um die Sexualität ist Teil des Konzepts.
Die Alternative zum konventionellen Sexshop
Sandra von „Consent Calling“, einem Sexshopkollektiv in München, erklärt mir in einem ZOOM Gespräch, dass auch sie beim Aufbau eines Sexshops auf leichte Zugänge zum Thema Sexualität setzen. Auch sie hätten ihr Crowdfunding Ziel erreicht und wollen einen Sexshop eröffnen. In ihrem Kollektiv ginge es um Lust, den Körper, Bildungsarbeit und feministischen Aktivismus. Hierbei zitiert Sandra die berühmte Parole: «Das Private ist politisch. Sex geht uns alle etwas an.» Auf meine Frage, wie sie sich von traditionellen Sexshops unterscheiden wollen, sagt Sandra, es ginge nicht darum, andere Sexshops als schlecht abzustempeln. Ihr sei während einer Fortbildung zur Sexualpädagogik aufgefallen, dass es noch Verbesserungspotential bei der Diskussion um Sexualität gäbe. «Wir wollen eine Alternative anbieten, die keine Normen vorgibt. Das Ziel ist, einen Raum zu kreieren, indem Vielfalt und Echtheit einen Platz finden.»
Sex ausserhalb der Schmuddelecke
Sybille Stahlberg kennt solche Sexshops bestens. Sie ist Sexologin und Systemtherapeutin in der Praxisgemeinschaft Sexualität* in Bern. Sie empfängt mich auf einen Espresso in ihrer lichtdurchfluteten Praxis, auch hier sind die Möbel farbenfroh und Stahlberg sitzt neben einer riesigen Palme. «Es ist ein guter Wandel, dass Sexshops aus der Schmuddelecke herauskommen», sagt sie. Es werde in bestimmten Kreisen mehr und offener über Sexualität gesprochen als noch vor wenigen Jahren, sie werde als alltäglicher Teil des Lebens dargestellt. Das spiegle sich nicht zuletzt auch in den Sexshops wider.
Sextoys könnten helfen, neue Perspektiven zu eröffnen und unentdeckte Stimulationen möglich zu machen. Da die weibliche Lust und Masturbation mehr Aufmerksamkeit bekämen, würden auch die Produkte immer besser. Der Luftschwingungsvibrator «Womanizer» soll angeblich sogar den Orgasmus garantieren. «Für manche Menschen entsteht jedoch auch Druck, dass sie nun immer zum Orgasmus kommen müssen», sagt Stahlberg. Die gesteigerte Intensität durch Spielzeuge könne auch in Dranghaftigkeit umschwenken und das Liebesspiel zur Leistungsperformance machen. Dabei sollte es beim Sex genau darum nicht gehen: «Alles kann, aber nichts muss. Die zentrale Frage sollte immer sein: was will ich eigentlich?», erklärt Stahlberg. Ihrer Meinung nach ist jede*r für seine eigene Lust und Erfüllung verantwortlich, der offene Umgang mit Sexualität ist zentral, und das Einbeziehen von Sextoys kann dabei helfen, herauszufinden, was man möchte und braucht. «Intimität und Sex sind, genauso wie Lesen und Schreiben, Dinge, die man lernen kann», sagt Stahlberg.
Am Ende meiner Recherche kehre ich zurück zum BLOOM Shop, lasse die Einhörner stehen und entscheide mich für einen Holzdildo. Sexshops wie BLOOM können helfen, herauszufinden, was man in seiner Sexualität wirklich möchte und neue Inputs bringen. Sie rücken Verborgenes ins Licht und machen die strahlenden Farben sichtbar. Manchmal eben auch durch Einhorn-Dildos.