Vaterfiguren finden sich überall. Doch was, wenn diese fehlt?

Egal ob im eigenen Zuhause oder in der Geschichte: Oft wird der Vater mit Stabilität und Sicherheit assoziiert. Das Fehlen dieser Bezugsperson kann zu tiefgreifenden Problemen und Komplexen bei Kindern führen. Das Vertrauen in männliche Figuren geht verloren und die Bildung von Beziehungen jeder Art kann schwerfallen. Trotzdem werden diese Probleme selten ernst genommen. Die Auswirkungen des Vaterkomplexes gehen weit über sexuelle Präferenzen hinaus. Was steckt hinter den Daddy Issues?

 

Ödipus, Elektra und Freud

Wie das heutige Konzept der Daddy Issues entstanden ist, ist unklar. Vermutlich lehnt es sich an die Idee des Ödipus-Komplexes an, der von Sigmund Freud entwickelt wurde. Im Mythos heiratet Ödipus seine eigene Mutter, nachdem er den eigenen Vater ermordete. Freud sagt, dass jeder Junge seine Mutter begehrt und den eigenen Vater damit als sexuellen Konkurrenten sieht. Die Tendenz von Mädchen, die Mutter als Konkurrentin zu sehen, nennt er den femininen oder negativen Ödipus-Komplex. Carl Jung führte den Begriff Elektra-Komplex für dieses Verhältnis ein. Auch dieser ist angelehnt an einen Mythos, in dem der gleichgeschlechtliche Elternteil als Konkurrent*in gesehen wird.

Der Vaterkomplex kann auch Erwachsene noch stark beeinflussen. Häufige Auswirkungen sind, dass die betroffenen Personen ständig die Aufmerksamkeit ihrer romantischen Partner*innen brauchen, sie Probleme haben gesunde Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen oder unter starken Vertrauensproblemen leiden. Auch die Attraktion zu älteren Männern wird als Konsequenz von Vaterkomplexen gesehen. Die negative Beziehung zur Vaterfigur wird als Ursprung der Probleme gesehen.

 

 

Das Problem der Sexualisierung

Daddy Issues werden auf problematische Weise stark sexualisiert. Von der Gesellschaft werden sie oft trivialisiert. Ein Grund hierfür könnte sein, dass der Vaterkomplex in Filmen und Serien Teil von sexuellen Fantasien ist. Die emotional vom Mann abhängige Frau findet sich in vielen populären Filmen und Serien. Ein aktuelles Beispiel ist Cassie aus der Serie Euphoria. Dabei fungieren die weiblichen Figuren nicht als tragische Charaktere, die von den Männern in ihrem Leben im Stich gelassen wurden. Sie sind Teil einer männlichen Fantasie. Ihre Komplexe verarbeiten sie nicht. Oft kommt es in den Narrativen auch zur Verteufelung dieser Frauen. Ihre Probleme werden als ihre eigene Schuld angesehen und nicht als Versagen ihrer männlichen Vorbilder. In den sozialen Medien wird der Begriff Daddy Issues auch häufig verwendet. So werden Frauen mit Daddy Issues als begehrenswert gesehen, da sie als sexuell abenteuerlich gelten oder aber sie werden verspottet.

Solche verbreiteten Narrative führen dazu, dass Daddy Issues in der Gesellschaft nicht ernst genommen werden.

 

What about Mommy?

Daddy Issues werden oftmals gender-abhängig betrachtet. Das Bild einer unsicheren Frau, die sich an ältere Männer und Partner klammert, ist gängig. Aber auch Männer können von einem ähnlichen Komplex betroffen sein: Der Mutter-Komplex – oder auf Englisch: Mommy Issues. Diese umfassen ebenfalls das Verlangen nach Aufmerksamkeit, kein Vertrauen und starke Sexualisierung. Der Ursprung liegt nicht bei Problemen mit dem Vater, sondern mit der Mutter. Gerade wenn die Partnerwahl auf ältere Frauen fällt, gelten Menschen mit Mommy Issues, vor allem wenn sie männlich sind, als Helden. Dies wird als sexuelles Geschick gesehen und als grosse Leistung gefeiert.

Interessant ist, dass hier wiederum die Schuld für die Entstehung eines Mutterkomplexes der weiblichen Partei zugeschoben wird. Die abwesende Mutter wird als Bösewicht in der Dynamik gesehen.

 

Egal ob Ödipus, Elektra, Daddy Issues oder Mommy Issues: Die involvierten Frauen sind entweder neidische Töchter, abwesende Mütter oder sexuelle Fantasien. Eines haben sie alle gemeinsam: Die Frauen ziehen den Kürzeren.

 

Text: Franziska Schwarz

Illustration: Anna Salvisberg