E-Books und andere elektronische Quellen eröffnen neue Möglichkeiten. Rund um die Uhr per Mausklick verfügbar und praktisch auf dem E-Reader zu lesen, vereinfachen sie die Quellenbeschaffung und ermöglichen mehr Mobilität. Nicht nur für die Verlage und Leser, sondern auch für Bibliotheken bedeutet der Wandel eine Neuorientierung. Spectrum hat sich mit dem Direktor der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Martin Good, über die Digitalisierung der Bestände an der KUB unterhalten.
Spectrum: Einige elektronische Quellen stehen an der KUB und an der Uni Freiburg bereits zur Verfügung. So etwa Datenbanken, der Zugang zu jstor oder der neue eBook-Reader, über den auf 50 Pressetitel zugegriffen werden kann. Plant die KUB ihr digitales Angebot zu erweitern?
Martin Good: Ja, vor allem in quantitativer Hinsicht. Es ist geplant, alle in Freiburg erschienenen Zeitungen zu digitalisieren und online anzubieten, entsprechende Bemühungen laufen seit 2005. Dies gehört vorab zu unseren Aufgaben als Kantonsbibliothek. Im Rahmen des finanziell Möglichen sollen auch weiterhin Dokumente aus anderen Sammlungen digitalisiert werden: mittel alterliche Manuskripte, Fotos und Postkarten, Plakate, sowie Bücher mit einem besonderen Bezug zum Kanton Freiburg. Als Universitätsbibliothek hat die KUB 13‘000 elektronische Zeitschriftentitel sowie 400 Datenbanken abonniert. Die Lizenzkosten belaufen sich auf jährlich rund 2 Millionen Franken. In diesem Bereich ist kein Ausbau geplant; die KUB ist froh, auf diesem Niveau zu bleiben und mit der Teuerung Schritt halten zu können. Was das Angebot an Zeitschriften und Datenbanken betrifft, befindet sich die KUB auf dem gleichen Stand wie die anderen Schweizer Hochschulbibliotheken. Die Digitalisierung der Information und damit der Bibliothek ist eine epochale Innovation, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. Trotzdem stellen wir eine starke Zunahme der Nachfrage nach den traditionellen, papiergebundenen Publikationen fest, beispielsweise war 2011 ein absolutes Rekordjahr, was die Ausleihen betrifft. Auch hat die KUB noch nie so viele neue Bücher erworben wie 2011, es waren knapp 40‘000 Einheiten.
Befinden sich auch E-Books im Angebot der KUB?
Zuerst sollte klar sein, was unter einem E-Book zu verstehen ist. Wird darunter das digitale Faksimile eines auf Papier erschienenen Buches verstanden, hat die KUB bereits ein beachtliches Angebot, beispielsweise mehrere Hunderttausend englischsprachige Primärtexte. Der Erwerb solcher „Bücher“ bzw. der Daten erfolgt paketweise, und es handelt sich um einen Kauf, das heisst nicht nur um eine zeitlich befristete Lizenz. Der Zugang ist wie bei den elektronischen Zeitschriften auf den Universitätscampus sowie die KUB beschränkt.
Ist auch die Anschaffung digitaler Sekundärliteratur geplant?
Dies hängt vom Marktangebot ab, von den Wünschen der Benutzer sowie von den verfügbaren technischen und finanziellen Mitteln. Möglicherweise wird sich auf der Ebene der Einzeltitel der Direktkontakt von Anbieter und „Endverbraucher“ durchsetzen, ohne Vermittlungsdienste der Bibliotheken, aber dieser neue Markt ist noch völlig im Fluss. Grundsätzliche lizenzrechtliche und katalogtechnische Fragen sind noch offen, beispielsweise sollen auch die elektronischen Bücher im Katalog der Bibliothek nachgewiesen sein. Ebenfalls sollte ein effizientes Suchinstrument vorhanden sein. Im Fall der KUB wird es das Produkt Primo sein, welches hoffentlich noch dieses Jahr zur Verfügung stehen wird. Zudem muss auch der Datenschutz berücksichtigt werden, Bibliotheken sollten keine Angaben zugänglich machen, wer welches Buch konsultiert. Es scheint, dass beispielsweise bei der Benutzung eines Kindle-Lesegeräts dem Anbieter sogar übermittelt wird, welche Passagen vom Leser markiert werden. Jedenfalls im Bereich der Einzeltitel ist also derzeit nichts geplant. Hingegen hat die KUB einige gebündelte Angebote erworben, wobei es sich momentan eher um „Müsterchen“ handelt. Innerhalb der Universität Freiburg sind derzeit Nachschlagewerke und Lehrbücher der wissenschaftlichen Verlage Blackwell, Cambridge, Oxford und UTB zugänglich.
Wer wählt die Bücher aus?
Dies hängt vom Fachgebiet ab: Teilweise kümmern sich Professoren und Assistenten darum, teilweise wissenschaftliche Bibliothekare an der Universität, teilweise die Erwerbungsabteilung der KUB, in einigen Fällen entsteht die Auswahl in Zusammen arbeit mit Buchhändlern.
Wäre das Digitalisieren bereits vorhandener Sekundärliteratur- Bestände möglich?
Technisch wäre dies denkbar, aus urheberrechtlichen Gründen ist dies aber den Rechteinhabern vorbehalten, also den Verlagen und Autoren.
Die Recherche würde auch für Studierende durch digitalisierte Bestände erleichtert und verbilligt, die Bücher würden geschont.
Zweifellos. Aber ich glaube nicht, dass es sich hierbei um ein vorrangiges Anliegen handelt. Das Informationsangebot war noch nie so riesig und einfach zugänglich. Mittlerweile sind praktisch alle Bibliotheksbestände in Online- Katalogen erfasst und neue Suchinstrumente stehen vor der Tür. Instrumente wie Google Books erlauben es, auch in den Volltexten zu recherchieren. Im Vergleich zu den Zettelkatalogen, mit denen sich die Studierenden vor noch nicht langer Zeit herumschlagen mussten, ist das Recherchieren sehr viel leichter geworden. Und was die Kosten betrifft: Ob die digitale Bibliothek schliesslich günstiger sein wird, ist noch nicht ausgemacht. Der Aufwand, die einschlägigen Informationen auf seinen Arbeitsplatz zu bekommen, ist also stark zurückgegangen; die Herausforderung besteht wohl heute vielmehr darin, die Informationsflut sinnvoll zu bewältigen.
Provokant gefragt: Ist in Zukunft die Bibliothek überhaupt noch nötig?
Die Antwort wird wohl nicht für alle Bibliothekstypen gleich lauten. Ich kann mir gut vorstellen, dass mittelfristig einige Aufgaben wegfallen werden, oder dass die Nachfrage zurückgehen kann. Solange aber das Buch in vielen Disziplinen weiterhin eine wichtige Rolle spielt, stellt sich die Frage für eine Universitätsbibliothek nicht. Die Nachfrage war in diesem Bereich wie erwähnt noch nie so gross wie im vergangenen Jahr, die Universitätsangehörigen haben noch nie so viele Bücher verlangt und ausgeliehen. Es handelt sich mitnichten um ein Freiburger Phänomen; beispielsweise stellt auch eine naturwissenschaftlich und technisch ausgerichtete Institution wie die ETH-Bibliothek in Zürich eine unerwartet starke Nachfrage nach Büchern fest, so nachzulesen im kürzlich publizieren Jahresbericht. Im elektronischen Bereich sind viele Aufgaben neu dazugekommen, die Grundaufgaben der Bibliothek haben sich aber kaum verändert: Es geht darum, Publikationen zu sammeln, zugänglich zu machen und langfristig zu erhalten. Neu ist, dass viele Inhalte nicht mehr auf Dauer erworben, sondern nur noch lizenziert werden. Zum Teil greift der Benutzer direkt auf Daten beim Verlag zu, was aber irgendwann noch zu lösende Probleme nach sich ziehen wird. Dies wenn beispielsweise ein Verlag eingeht, oder wenn schlicht die Bereitschaft zum Bezahlen der Lizenzen nicht mehr besteht – und wer, wenn nicht die Bibliotheken, soll sich darum kümmern? Neu ist auch, dass die Bibliotheken Dokumentenserver betreiben, damit die sogenannten Pre- und Postprints – d.h. der Niederschlag der universitären Forschung – publiziert werden können und langfristig zugänglich bleiben.
Das rechtfertigt das Dasein einer Universitätsbibliothek. Wie sieht es mit Kantonsbibliotheken aus?
Hier steht die Gedächtnisfunktion der Bibliothek im Vordergrund. Dabei müssen auch die elektronischen Publikationen berücksichtigt werden, weshalb die KUB auch solche sammelt: Neben CDs und DVDs gehört dazu auch eine Auswahl an Websites. Ein weiteres Tätigkeitsgebiet ist die Digitalisierung von Beständen, die gefährdet sind, zum Beispiel die oft auf billiges, säurehaltiges Papier gedruckten Tageszeitungen; die stark nachgefragt werden wie Fotosammlungen; oder die besonders wertvoll sind, etwa die Manuskripte, die bis ins Mittelalter zurückreichen. Es stellt sich bei der rasanten technischen Entwicklung auch hier die Frage, wie lange diese Quellen lesbar bleiben. Demgegenüber ist das Buch unkompliziert. Zwar braucht es Platz und eine Institution, die dafür sorgt, dass es an seinem Platz verfügbar bleibt. Dafür braucht es keine kurzlebigen Dinge wie Computer, Speichermedien und Software, und auch keine komplizierten Lizenzverträge. Und damit ist wohl auch Ihre Frage nach der zukünftigen Notwendigkeit der Bibliotheken beantwortet.
Interview von Aliki Eugenidis