Nicht ohne Grund war Riga Kulturhauptstadt Europas 2014. Die baltische Metropole am Fluss Daugava wird unterschätzt. Sie ist abwechslungsreich, voller Kultur und wunderschöner Architektur. Perfekt, um einige Tage abzuschalten und das Leben einfach zu geniessen. Get on board!
von Vinzenz van den Berg
Bevor ich meine Reise in die Hauptstadt Lettlands antrat, wurde ich häufig gefragt, wie ich darauf gekommen sei und was mich dorthin ziehe. Ehrlich gesagt wusste ich das im Voraus auch nicht genau. Seit meine Mutter – ein Riesenfan von Henning Mankells Kommissar Kurt Wallander – Hunde von Riga gelesen hatte, wollte sie die Stadt besuchen. Dies und die Tatsache, dass die Swiss ab diesem Frühling die lettische Hauptstadt direkt anfliegt, waren Grund genug, diesen Trip mit der Familie anzutreten.
Über touristische Bustouren, tolles Essen und nette Menschen
Wenn ich von Riga erzähle, kommen folgende Dinge als erstes in den Sinn: extrem freundliche Menschen mit guten Englischkenntnissen, eine mit Geschichte vollgepackte Altstadt, coole Restaurants und Cafés, wirklich extrem guter Kaffee und laut meiner Schwester eher schlechte Möglichkeiten für eine Shoppingtour. Aber eines nach dem anderem.
Als wir am Karsamstagabend kurz vor 21.00 Uhr landeten, blieb vom ersten Abend nicht viel übrig. Also nahmen wir – nachdem wir zuerst falsche Bustickets gekauft hatten – ein Taxi zu unserem Hotel. Wir gastierten im Hotel Albert direkt im Herzen von Rigas Jugendstilquartier etwas ausserhalb der Altstadt. Riga ist für den deutschen Jugendstil weltweit berühmt und hat es 1997 wegen der hohen Konzentration an Jugendstilarchitektur sogar auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft. In der hauseigenen Rooftop-Bar genehmigten wir uns unsere ersten Drinks, bevor wir zu Bett gingen.
Am Ostersonntag machten wir uns auf, die Stadt zu erkunden. Die Temperaturen waren mit zirka 5 Grad nicht gerade angenehm für einen Stadtbummel, aber wie man so schön sagt: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Riga ist eine Stadt, die man sehr gut zu Fuss begehen kann. Alles ist sehr kompakt und dicht beieinander. Auf dem Weg in die Altstadt hatten wir schon die erste Begegnung mit einem äusserst zuvorkommenden – und von Samstagabend noch ein wenig beduselten – Letten. Hatte er uns zuerst einfach nach Wechselgeld für ein Busticket gefragt, erzählte er uns schnell von den Besten Orten der Stadt und wo man unbedingt hingehen sollte. Wie es mit jemandem, der am Sonntagmorgen noch von Samstagnacht umherzieht, halt so ist, hatte das Gespräch beinahe kein Ende. Er wollte uns so viel erzählen und hatte so viele Tipps, die aber wirklich gut waren.
Unser erstes Ziel war sehr touristisch. Wir entschieden uns, eine Sightseeing Bustour zu machen, um die Stadt erst einmal kennen zu lernen. Die Tour ist kurz gehalten, dauert ungefähr eine Stunde, man sieht die wichtigsten Punkte der Stadt und erhält interessante Infos. Etwa auch über die Geschichte Rigas. Gegründet wurde die Stadt 1201 vom deutschen Bischof Albert und stieg schnell zu einer wichtigen deutschen Handelsstadt und Sitz eines Erzbischofs auf. Danach gab es einige Machtwechsel, während welchen Riga einige Zeit zu Polen und lange Zeit zu Schweden gehörte. Fun Fact: In dieser Zeit galt Riga zeitweise sogar als grösste Stadt Schwedens! Heute ist Riga mit mehr als einer Million Einwohnern im Metropolitanraum der grösste Ballungsraum im Baltikum und kulturelles wie auch wirtschaftliches Zentrum Lettlands.
Während der Bustour kann man an jeder Haltestelle aussteigen und einen der nächsten Busse nehmen. Nach der Tour entdeckten wir ein kleines, nettes Café, das stilvoll eingerichtet war und erlebten eine weitere Überraschung: In Riga gibt es ausgezeichnet guten Kaffee. Ich dachte, dass sei ein Zufall und dieses Café eine Ausnahme, wurde in den nächsten Tagen aber Besserem belehrt. Die Letten scheinen eine gewisse Affinität für Italien zu haben. Der gute Kaffee und kleine, authentische italienische Restaurants sind über die ganze Stadt verteilt.
Auf den Spuren Wallanders
Unser zweiter Tag führte uns auf die Spuren von Wallander, dem Kommissar aus Henning Mankells Krimireihe. In seinem zweiten Fall, den ihn nach Riga führte, trieb er vor allem in der Neustadt umher – zwischen seiner Residenz, dem Hotel Latvija und der Alten Gertruden-Kirche. Beide Gebäude liegen dicht beieinander, so dass wir auch hierhin vom Hotel her gemütlich spazieren konnten. Die Alte Gertruden-Kirche ist eine imposante Kirche ausserhalb der alten Stadtmauer, die gebaut wurde, um Reisenden, die früher nach Schliessung der Stadttore noch einen Ort zum beten suchten, Obdach zu bieten. Das Hotel Latvija ist eines der höchsten Gebäude der Stadt und beinhaltet ebenfalls eine Rooftop-Bar im 26. Geschoss. Im Gegensatz zu unserer im 14. Stock des Albert-Hotel, hat man hier schon den besseren Ausblick über die Stadt. Der Sonnenuntergang mit Blick über die ganze Stadt und die Daugava ist atemberaubend. Zudem ist der Zugang – im Gegensatz zur Besteigung einer der vielen Kirchentürme der Stadt – gratis, die Cocktails preisgünstig und gefährlich gut. Die Wallander-Schauplätze haben natürlich am meisten meine Mutter gefreut und es sei wirklich alles so, wie Mankell es in seinen Büchern schreibt. Sogar der Kiosk in der Lobby vom Hotel Latvija, in dem Kurt Wallander seine Morgenzeitung zu kaufen pflegte, war genau dort, wo er hingehörte.
Nach unserer literarischen Exkursion begaben wir uns in die Tiefen der Altstadt und genossen den Anblick der unterschiedlichen Architektur und der vielen Kirchen. Der Dom von Riga, die Petrikirche, die Jacobikirche, die allesamt in der Altstadt liegen, sowie die Christi-Geburtskirche mit ihren fünf goldenen Kuppeln direkt vor dem Hotel Latvija, waren definitiv am eindrücklichsten. Die historischen Einflüsse der über 800-jährigen Geschichte der Stadt sind deutlich in der Kulisse der Altstadt verankert. Während unseres Bummels hielten wir hie und da wieder an um Fotos zu machen, einen Kaffee zu trinken und später mit dem Apéro zu beginnen. Die Plätze in der Altstadt zeigen, dass die Sommermonate draussen verbracht werden. Überall gibt es grosse Terrassen, die einladen, die Sonne und einen Apéro zu geniessen. Apéroplatten passend zu Wein oder Bier, verschiedene Häppchen zum teilen und hauseigen gebrautes Bier sind an vielen Orten anzutreffen und von Knoblibrot und Oliven über Bruschetta bis hin zu Chicken Wings kann man alles haben – ein wahrer Gaumenschmaus.
Russisches Erbe und lettische Essenskultur
Der dritte Tag führte uns in die Moskauer Vorstadt. Bereits im Voraus buchten wir eine Food-Tasting-Tour im Zentralmarkt – durchgeführt von einem Unternehmen mit dem passenden Namen E.A.T. Riga. Was wir im Voraus nicht wussten: Dies sollte eine Privattour werden. Umso besser für uns. Unser Guide James war ein junger Mann aus dem Süden Lettlands mit einem unendlich scheinenden geschichtlichen Wissen über die Stadt. Gemeinsam mit ihm spazierten wir zuerst von der Altstadt in die Moskauer Vorstadt. Wir hielten an historisch interessanten Plätzen und er erzählte uns zum Beispiel, wie der Markt mehrere Male verschoben und neu gebaut wurde, da er immer wieder zu gross wurde oder woher die Moskauer Vorstadt ihren Namen erhielt. Hier startet die Maskavas iela (Moskauerstrasse), die nach Moskau führt und früher vor allem von Russen bewohnt war. In der Zeit der russichen Herrschaft, welche von Anfang des 18. Jahrhunderts bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1991 fast durchgehend anhielt, wurden tausende Letten deportiert und andere Leute aus der UdSSR strömten im Gegenzug nach Riga. Die Russen versuchten so, die Letten zur Minderheit in ihrem eigenen Land zu machen. Die Moskauer Vorstadt zeichnet sich durch die vielen Holzbauten aus. Früher war es untersagt, ausserhalb der Stadtmauern mit Stein zu bauen. Aus Sicherheitsgründen war nur Holz zulässig, damit man im Notfall die Stadt schnell niederbrennen konnte. So wie es gemacht wurde, als man dachte, Napoleon laufe in Riga ein. Auf seinem Weg nach Moskau ist er aber 50km neben Riga durchgezogen. Leider hatte man den Grossteil der Holzbauten aber schon in Brand gesteckt.
Ebenfalls in der Moskauer Vorstadt ist das Hochhaus der Akademie der Wissenschaften, das im Auftrag von Stalin erbaut wurde. Im Stile der sieben Schwestern von Moskau wurden in der ganzen Sowjetunion Hochhäuser gebaut. Damit sollte die Verbundenheit zu Moskau symbolisiert werden. Die Tour durch die Moskauer Vorstadt endete am Rigaer Zentralmarkt, durch den wir mit unserem Guide bummelten. Der Zentralmarkt ist auch heute noch der Ort, an dem die Leute ihre Wocheneinkäufe tätigen. Während dem wir Schweinsköpfe, Rindszungen, geräucherte wie auch frische Fische, Gebäck, Bernsteinschmuck, Kleider und anderes begutachteten, kaufte unser Begleiter James fleissig ein. Am Ende der Tour durch den Markt, picknickten wir gemeinsam und probierten die lettischen Spezialitäten. Unter anderem gab es Räucherwurst, -käse und -fleisch zum Probieren. Ebenfalls kosteten wir frische Gewürzgurken, die nur einige Tage im Essig eingelegt sind und innen darum noch wie Salatgurken schmecken oder Birkensaft, der oft im Frühling getrunken wird. So nahm ein kulinarisches, wie auch geschichtlich sehr interessantes Erlebnis sein Ende.
Unseren letzten beide Tage verbrachten wir mit einer Reise in den nahe gelegenen Küsten- und Kurort Jūrmala und in der Altstadt, wo wir noch einmal durch die Gassen, Pärkchen und über die Plätze schlenderten, Kaffee tranken und Souvenirs kauften. Bei einem letzten Bier und Apéro verabschiedeten wir uns dann von der Perle an der Ostsee und machten uns am späten Nachmittag auf zum Flughafen. Nach unserem Trip nach Riga kann ich ein definitives Fazit ziehen: ob jung oder alt, Kulturbanause oder Historikfreak, Familie, Pärchen oder Freunde – Riga ist bestimmt eine Reise wert und bietet jedem etwas, der einige Tage abschalten und das Leben geniessen will!