Immer wieder hören wir vom schlechten Bildungssystem der Amerikaner – aber spätestens seit der Bolognareform passen wir uns ihm immer mehr an. Doch welche unserer plakativen Vorstellungen des amerikanischen Modells stimmen eigentlich und welche sind pure Vorurteile?
Grundsätzliches zuallererst: Wie sind das Schweizer und das Amerikanische Bildungssystem eigentlich aufgebaut? Bis die Schüler dreizehn Jahre alt sind, sieht das ganze mal sehr ähnlich aus: Mit vier Jahren kommt man in den Kindergarten (Preschool), dann folgt die Unterstufe (Elementary School) und die Mittelstufe (Middle School). Während Schweizer Kinder dann nach ihren Schulleistungen in drei verschiedene Sekundarstufen oder aber das Gymnasium eingeteilt werden, gehen alle amerikanischen Kinder getreu nach dem bisherigen Muster weiterhin in dieselbe Highschool. Deshalb kann deren Niveau natürlich nicht mit unserem Gymnasium verglichen werden, schliesslich landen in unseren Gymnasien nur die schultauglichsten zwanzig Prozent der Jugendlichen. So wie unsere Sekundarschüler später eine Lehre (mit oder ohne Berufsmaturität) antreten und sich danach entweder an Fachschulen, Fachhochschulen, Hochschulen oder Universitäten weiterbilden können, ist das in den USA nicht möglich. Es gibt natürlich auch dort praktisches Training (Vocational Education), aber dieses gliedert sich sowohl begrifflich als auch systematisch nahtlos in den Ablauf von Highschool und dann vier Jahre College ein. Während sich unsere Automechaniker ihr Wissen also mit 16 Jahren in einer Lehre aneignen, würden ihre amerikanischen Pendants bis 18 in die Highschool gehen und dann einige Zeit in einem technischen College zubringen. So weit, so ähnlich.
Bildung als ausgleichender Faktor?
Der grösste Unterschied besteht hingegen in der Finanzierung: In Amerika macht jeder, der es sich leisten kann, einen weiten Bogen um die öffentlichen Schulen. Spätestens die hohen Studiengebühren im College schlagen eine weitere Kerbe zwischen die Bildungsmöglichkeiten von Arm und Reich. Abgesehen davon variiert die Qualität der öffentlichen Schulen bereits massiv zwischen reichen und armen Vierteln – ein Grossteil der Schulfinanzierung wird durch lokale Vermögenssteuern gedeckt, mit sehr geringer geographischer Querfinanzierung. Wohnst du also in einer armen Nachbarschaft, wird dein Kind in eine Schule gehen, welche sich möglicherweise kaum Schulmaterialien leisten kann und ganz sicher keine Sonderprogramme wie das International Baccalaureate-Diplom (IB) anbietet. Dieses kann in besseren Highschools als Zusatzdiplom erworben werden und berechtigt zum Beispiel auch zum Studium an Schweizer Universitäten. Es ist vom Niveau her also vergleichbar mit der eidgenössischen Matura. Dazu kommt, dass die tertiäre Bildung an Colleges und Universities eigentlich nicht bezahlbar ist. Durchschnittlich waren College-Absolventen letztes Jahr mit 35’000 Dollar verschuldet. Will man auf dem Arbeitsmarkt aber ernst genommen werden, muss man gar nicht erst mit einem der billigeren Abschlüsse einer staatlichen Universität antraben. Bildung als ausgleichender Faktor ist in Amerika also eine Utopie.
Aktuelle Entwicklung
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns auch in der Schweiz in diese Richtung bewegen. Immer mehr Jugendliche wollen das Gymnasium abschliessen und viele, die eine Lehre absolviert haben, hängen eine Berufsmaturität dran, weil sie ohne Fachhochschulabschluss finanziell nie gut situiert dastünden. Ob und wie wir das Problem dieser eventuellen Überakademisierung lösen können, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Amerika will auf jeden Fall unsere gute alte Lehre einführen.