„Instagram macht uns alle zu Psychopaten“ titelt „Die Welt“. Damit lockt sie, wenig überraschend, Blogger wie auch Journalisten aus der Reserve. Doch was ist am viel besprochenen Artikel dran und wie wenig hat dessen Autorin von der Foto-App verstanden?

Von Irène Unholz

#tagforlikes, #selfie, #swag. Ein Blick auf die hundert beliebtesten Hashtags auf Instagram lässt tatsächlich für einen Moment an unserer Gesellschaft zweifeln. Doch man übersieht die etwas weniger spektakulären unter ihnen auch sehr gern: #family, #summer, #nature. Sie wurden genauso oft benutzt und sind mehr Grund zum Gähnen als zur Aufregung. Doch daran stösst sich die Autorin, Laura Ewert, des viel diskutierten Artikels auch gar nicht. Sie stört vor allem, dass sie zu viel weiss. Dazu gehören der Name eines Hundes, der Name von seiner Spielzeugmaus, wo der Hund überall war und was seine Besitzerin vorgestern zu Abend gegessen habe, wie sie schreibt.

Ist das Grund genug, Instagram unter anderem als „die kaputteste App der Welt“ zu bezeichnen und die 300 Millionen Nutzer allesamt als „süchtig nach Stalking“?

Was kann die App dafür?

Viele Bilder würden sich ähneln, schreibt die Autorin weiter. Dem ist nicht zu widersprechen und es kann tatsächlich belustigend sein, einmal alle Pappkaffeebecher, Macarons oder Uhren einer gewissen Marke zu zählen, die hintereinander im sogenannten Feed auftauchen. Ähnlich wie bei Twitter ist man hier letztendlich selber dafür verantwortlich, was man sieht. Abonniert man eine Person, tauchen deren neue Fotos chronologisch im Feed auf, das neueste zuoberst beziehungsweise zwischen den zig anderen Fotos von anderen abonnierten Nutzern. Darunter steht meistens ein kurzer Text und viele oder wenige Hashtags, mal mehr und mal weniger sinnvoll. Ein Klick darauf lässt einen dann durch die Familienfotos, die Sommerferien oder eben auch durch die Selfies und den Swag der anderen stöbern. Von sehr begabten und auch mal weniger talentierten Fotografen. Was daran so fantastisch ist: es ist freiwillig! Ein Nutzer ist mit einem Klick ent-folgt, die App innert Sekundenbruchteilen geschlossen und das Handy genauso schnell weggelegt.

„Geht, wenn es euch nicht gut tut“, schreibt auch Nike van Dinther vom deutschen Blog „This Is Jane Wayne“. Sie vermutet ihre Fotos hinter den Beschreibungen der „Welt“-Journalistin.

Die böse Ästhetik

Doch aus unbekannten Gründen scheint einfach wegzugehen oder auch nur wegzuschauen nicht allen möglich zu sein. Die immer gleichen Fotos würden uns hetzen und verhöhnen, schreibt Laura Ewert in der „Welt“. „Eine eigene Ästhetik hat sich so in den letzten Jahren entwickelt und um diese herum werden nun Lebenswirklichkeiten geformt, die kein Scheitern erlauben.“ Das Wettrüsten im Privaten habe begonnen: Man ertappe sich dabei, die neue Vase so auf den Tisch zu stellen, dass der Designer-Kerzenständer im richtigen Winkel steht, um auch noch den Print an der Wand aufs Bild zu bekommen.

Das mag allenfalls nach einem leichten Tick klingen, doch vor allem nach Freude an der Ästhetik, zu deren Zelebrierung Instagram für manche Leute dient.

Nichts

„Warum wir schon vor Instagram Psychopathen waren“ titelt  seinen Antwort-Artikel zum Thema. Dadurch, dass die Grenzen zwischen Presse und Marketing auf Instagram schnell mal verschwimmen, ergebe sich zwar eine gewisse Problematik, schreibt Laura Ewert. Instagram sei daran allerdings nicht schuld, sondern mache sichtbar, was schon immer „en vogue“ gewesen sei. Das müsse man nicht gutheissen, doch dürfe man nicht so tun, als hätte Instagram diese Entwicklung hervorgebracht.

Nicht falsch, nur nicht alles

„Instagram selbst kann nichts für unser Unvermögen, zwischen real und Inszenierung zu unterscheiden und die Auswirkungen zu bewerten“, schreibt die Autorin des „Wired“-Artikels, Elisabeth Rank. Das müssten die User noch selbst tun. Denn Instagram zeige keine reale Welt, sondern nur einen sorgsam ausgewählten Ausschnitt.

Was auch bei den Hashtags auffällt: Die meisten von ihnen sind positiv behaftet. Ständig die Tiefpunkte des eigenen Lebens ohne weiteres ins Netz zu stellen, wäre auch wesentlich seltsamer – und, im Hinblick aufs Psychopathische, problematischer.